Katrin Großmann | Rezension |

Mehr davon, bitte!

Rezension zu „Urbane Konflikte und die Krise der Demokratie. Stadtentwicklung, Rechtsruck und Soziale Bewegungen“ von Peter Bescherer, Anne Burkhardt, Robert Feustel, Gisela Mackenroth und Luzia Sievi (Hg.)

Peter Bescherer, Anne Burkhardt, Robert Feustel, Gisela Mackenroth und Luzia Sievi (Hg.):
Urbane Konflikte und die Krise der Demokratie. Stadtentwicklung, Rechtsruck und Soziale Bewegungen
Deutschland
Münster 2021: Westfälisches Dampfboot
246 S., 28,00 EUR
ISBN 978-3-89691-057-8

Konflikte haben Konjunktur. Besonders durch die Prominenz von Chantal Mouffes Theorie des Agonismus, des gezähmten Konflikts, steigt das sozialwissenschaftliche Interesse daran. Urbane Konflikte wie etwa der Kampf gegen Gentrifizierung, Urban Riots oder Streit in der Nachbarschaft sind seit Langem Gegenstand der sozialwissenschaftlichen Stadtforschung, werden hier allerdings eher als Ausdruck sozialer Ungleichheiten und struktureller Machtfragen verstanden. Das vorliegende Buch nimmt Konflikte um Wohnen und Verkehr in den Blick und fragt, ob sie ein Faktor sind, der den Rechtsruck (im Buch synonym auch „Rechtspopulismus“, „rechter Autoritarismus“ oder „rassistische Ressentiments“) in unserer Gesellschaft befeuert. Konkret fragen die Autor*innen, ob die zunehmenden sozialen Verwerfungen in Städten in Folge jahrzehntelanger neoliberaler Stadtpolitik einen Rechtsruck in den beteiligten Milieus bewirkt haben. Das Buch ist eine Quasi-Monografie, die mit geteilter Autor*innenschaft Einblicke in die empirischen Befunde und theoretischen Reflexionen des an den Universitäten Jena und Tübingen angesiedelten Forschungsprojekts PODESTA - Populismus und Demokratie in der Stadt vorstellt.

Der rote Faden: die populistische Lücke

Die zentrale im Buch verwendete Heuristik ist die der „populistischen Lücke“. Sie wird in Kapitel 1 eingeführt und zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen Band. Diese Heuristik geht auf Helmut Dubiels Ausführungen zum populistischen Moment zurück, nach dem Menschen in Zeiten eines „krisenhaft beschleunigten sozialen Wandels“ ihre bislang tradierten politischen Orientierungen und Glaubenssätze hinterfragen.[1] Dubiel beschreibt den Prozess wie folgt: Den „affektiven Bindungen betroffener Bevölkerungsgruppen an die überkommene soziale Ordnung [wird] abrupt der Boden entzogen [...] Ihre herkömmlichen Orientierungen verlieren schlagartig nicht nur ihre ökonomische Basis, sondern auch ihren kulturellen Ort in der gesellschaftlichen Rationalität.“[2]

Die Autor*innen formulieren ihr Interesse so: „Überspitzt gefragt: Wenn in den USA gegen Ende des 19. Jahrhunderts Eisenbahnmonopol und Finanzkapital den Unmut des Populismus auf sich zogen, sind es dann in den Großstädten des frühen 21. Jahrhunderts Eigenbedarfskündigung und Luxusmodernisierung?“ (S. 21 f.) Entsprechend wird der Fokus der Untersuchung auf die relevanten Faktoren dieser Heuristik gerichtet. Erforscht werden politische Haltungen in kleinräumigen Konflikten um städtische Probleme wie Wohnungsmarkt, Quartiersentwicklung oder Verkehrspolitik (Kapitel 5-8) sowie deren Adressierung durch die Stadtpolitik, also Stadtrat und Verwaltung (Kapitel 3 und 4), um zu sehen, ob hier quasi eine populistische Lücke entsteht. Dazu wird weiterhin das rechte Politikangebot anhand von Dokumenten, Statements und Parteiprogrammen analysiert (Kapitel 2) sowie gefragt, ob gegebenenfalls linke soziale Bewegungen oder Initiativen, die solche städtischen Probleme adressieren, der populistischen Lücke zuvorkommen oder sie entkräften können (insbesondere Kapitel 7 und 8). Das Ganze wird konkret an Orte, Milieus und lokale Politiken rückgebunden, so dass etwa die lokale Identität als Autostadt im Stuttgarter Dieselkonflikt ebenso thematisiert wird wie die Bindung sozialer Beziehungen an räumliche Praktiken im Fall der Leipziger Garagenhöfe, die als Prekarisierung erlebte Aufwertung und Sanierung eines Quartiers in Stuttgart oder die Privatisierung, Prekarisierung und Entfremdung des Wohnens im Fall der Schönefelder Höfe in Leipzig. Der Raum als Verbindung von sozialer Praxis, Bedeutungszuschreibungen und physischer Lokalität beginnt so, einen Platz in den Erklärungen rechtspopulistischer Orientierungen zu bekommen, und zwar präziser als in den bislang gängigen Ost-West- oder Stadt-Land-Dichotomien (S. 15 f.). Damit suchen die Autor*innen (implizit) auch nach der analytischen Differenz, die der lokale Kontext einbringt. Die Orte werden als städtische Peripherien eingeordnet, als Orte, die sich „durch Wegzüge und Infrastrukturmaßnahmen als Peripherie wieder[finden]“ (S. 18).

Mit diesem Ansatz stoßen die Autor*innen in eine weit klaffende Forschungslücke jenseits von quantitativ-empirischen Arbeiten zu rechts-autoritären Einstellungen auf nationaler oder regionaler Ebene, jenseits von theoretischen Überlegungen zum Aufstieg rechtspopulistischer, national-autoritärer Orientierungen und Strukturen, oder jenseits von populärwissenschaftlich arbeitenden Texten, die lokalen Strukturen, Ausprägungen und Ursachen nachspüren. Mit dem Buch „Urbane Konflikte und die Krise der Demokratie. Stadtentwicklung, Rechtsruck und soziale Bewegungen“ liegt nun eine mehrteilige Studie vor, die verschiedene Orte zueinander in Beziehung setzt, und sich qualitativer, teils ethnografischer empirischer Methoden der Sozialforschung bedient. Die Frage lautet: Hilft das? Verstehen wir das Ganze mit diesen Methoden besser?

Um das vorwegzunehmen: Ja, es hilft. Aber selbstverständlich werden damit nicht alle offenen Fragen geklärt. Das Buch lädt insbesondere dazu ein, sich auf lokale Kontexte einzulassen, auf unsympathische Akteure, für die man als Lesende dennoch Anwaltschaft entwickeln beziehungsweise deren Verhalten man zumindest nachvollziehen kann. Auch durch ihre suchende, engagierte und transparente Darstellung verstehen es Bescherer et al. ihre Leser*innen einzunehmen. Das gut geschriebene Buch lässt uns teilhaben an dem Versuch, sich Milieus anzunähern, in denen nationale, populistische Haltungen und rassistische Ressentiments zum alltäglichen Umgangston geworden sind.

Der empirische Teil des Buches

Ich habe das Buch nicht sonderlich diszipliniert gelesen. Statt vorne anzufangen habe ich mich direkt auf das Kapitel zum Leipziger Garagenhof gestürzt (Kapitel 5), weil ich in meiner Kindheit mit dem Phänomen der Garagenkultur groß geworden bin. Mein Vater hegte und pflegte dort seinen Lada, selbst lackiert in metallic-blau und schwarz, mit dem wir im Urlaub gerne zu Autorennen in die „Tschechei“ fuhren, nachdem er selbst nicht mehr bei der „Rally Wartburg“ als Co-Pilot fuhr. In der Garagenreihe traf ich auch meine erste kleine Liebe, als ich routinemäßig meinen Vater zum Essen rief, und hier ließ ich sie auch wieder ziehen. Die Bedeutung dieser besonderen kleinen Welt, die so viel mehr war als nur ein schnöder Pkw-Unterstellplatz, erschließt sich heutzutage vermutlich nicht mehr sehr vielen – und, wie das Buch zeigt, auch nicht vielen Lokalpolitiker*innen.

Der im Buch untersuchte Konflikt entsteht, als ein Garagenhof im Osten Leipzigs einem neuen Gymnasium weichen soll. Während der Schulneubau als notwendige Infrastrukturmaßnahme unhinterfragt priorisiert wird, übergeht die Stadtverwaltung die Garagenbesitzer*innen im Prozess scheinbar völlig. Als Letztere protestieren, rechtfertigt sich ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung mit „Ich muss die nicht fragen!“ – ein Zitat, das zu Recht als Überschrift des Teilkapitels zum Umgang mit Protesten ausgewählt wurde.

In diesem Abschnitt wie auch in den beiden Kapiteln 3 und 4 zur „Ratlosigkeit der Zuständigen“ zeigen die Autor*innen, wie fehlende Achtung und Sensitivität in der Stadtpolitik, in der Kommunikation, beim Treffen von Entscheidungen und in der Reaktion auf Widerspruch, eine Lücke für populistische Mobilisierung eröffnen. Vor allem im Umgang mit einem Milieu, zu dem die „Zuständigen“ auf mehreren Ebenen keinerlei Zugang finden und sich nicht nur distanziert, sondern auch überheblich verhalten, öffnen sie rechten Argumenten unnötig die Tür. Allerdings wird diese Tür im Falle des Garagenhofs nur zögerlich von rechten Akteuren aufgestoßen, und auch die Protestierenden zeigen nur eine geringe Neigung, sich für deren Ziele instrumentalisieren zu lassen. Trotzdem bleibt unterm Strich eine zunehmende Distanz zwischen den protestierenden Garagenbesitzer*innen und den in Stadtverwaltung und -politik Tätigen, ein kleiner weiterer Knacks im Vertrauen in demokratische Institutionen. Die ganz praktische Lehre aus diesem Konflikt ziehen die Autor*innen wie folgt: „[E]ine bürgernahe, gut zu erreichende Stadtverwaltung“, eine „aktive und transparente Kommunikation der Maßnahmen“ und „Wertschätzung der demokratischen politischen Kontrahenten“ bei gleichzeitig klarer „Haltung gegenüber denjenigen, die lokale Konflikte durch gezielte Propaganda zur Aushöhlung der Demokratie instrumentalisieren“ wären geeignete Maßnahmen einer klaren Strategie zur Verhinderung populistischer Lücken (S. 152).

Während im Konflikt um den Leipziger Garagenhof die lokale AfD nur zögerlich Anwaltschaft für die Garagenbesitzer*innen übernimmt, mobilisiert die AfD im Stuttgarter Dieselkonflikt massiv und instrumentalisiert den Konflikt (Kapitel 6). Burkhardt und Sievi untersuchen hier die stadtweiten Proteste gegen Dieselfahrverbote, in denen rechte Narrative und Akteure eine prominente Rolle spielen. Die Versuchung von rechts scheint hier größer zu sein als im Leipziger Fall: Die dortigen Garagenbesitzer*innen suchen zwar kommunalpolitische Unterstützung, bleiben aber auf Distanz zur AfD und verweigern ihr die Zusammenarbeit. In Stuttgart hingegen kommt es zum Schulterschluss zwischen den Protestierenden und der AfD. Obwohl in beiden Fällen die Stadtpolitik beziehungsweise -verwaltung nicht durch transparente, klare und respektvolle Kommunikation glänzte, und das Auto als Symbol für bestimmte gesellschaftliche Werte und eher in männlichen Lebenswelten eine Rolle spielt, gestalten sich die Abläufe auf vielen Ebenen unterschiedlich. Zum einen durch die Anzahl der Betroffenen: ein Garagenhof hier, eine ganze Stadt dort. Es sind aber auch gänzlich unterschiedliche Milieus betroffen: In Stuttgart geht es anders als in Leipzig auch um die symbolische Ebene, um die Identität, wenn das Selbstbild der Autostadt hochgehgalten wird. Aktivist*innen und AfD entwickeln in Stuttgart gemeinsame, affektiv aufgeladene Argumentationsmuster, die während des Protests ständig wiederholt, geteilt und gefestigt werden. So scheint nicht nur der Kontext der Baden-Württemberger AfD in die Karten zu spielen, sondern ebenso Affekte, Zeitlichkeit und die Art der Konfliktaustragung.

Noch dazu sind die Dieselproteste deutlich anschlussfähiger an die Narrative der Rechten, wie die in Kapitel 2 dargestellte Analyse von rechten Diskursen zu Fragen der Stadtentwicklung zeigt. Die Komplexität des Lokalen tritt in solchen Diskursen zurück vor eher national orientierten Erzählungen, die affektiv ansprechen und Komplexität auf einfache Formeln herunterbrechen. Auf lokaler Ebene werden Themen wie Zuwanderung, Verkehr oder Sicherheit genutzt, um angeblich verlorene Stadtbilder zu beschwören, die zurückerobert und/oder geschützt werden müssten. Neben einer Abneigung gegenüber der städtebaulichen Moderne (ein Treppenwitz, dass gerade die Bewohner*innen in Großwohnsiedlungen häufiger AfD wählen als jene in Altbauvierteln) sind diese alten Stadtbilder gekennzeichnet durch 1) Sicherheit (vor allem vor kriminellen ausländischen Clans), 2) eine individuelle Mobilität, die auf dem Eigentum des Autos basiert, und 3) die Vorstellung, dass bezahlbarer Wohnraum kein Thema wäre, gäbe es keine Zuwanderung, die den bio-deutschen Wohnungssuchenden den preiswerten Wohnraum streitig mache. Interessant ist dabei der Befund, dass nur wenige konkrete lokale Politikangebote existierten, während die Narrative von konkreten Sozialräumen losgelöste Verlust-, Bedrohungs- und Entmachtungserzählungen seien. So bleibt denn auch über mehrere Kapitel hinweg die Frage virulent, wie diese eher national argumentierenden Diskurse vor Ort in Mikrokonflikte hineinwirken, wenn sich doch die AfD oder andere rechte lokale Gruppen „kommunalpolitisch eher passiv“ zeigen (S. 216). Im Schlusskapitel bringen die Autor*innen die Antwort auf den Punkt: „Rechte lokale Gruppen […] liefern selten und wenn überhaupt reaktiv Politikangebote. Stattdessen läuft ihre Mobilisierung eher über affektive Elemente, Projektionen und Feindbestimmungen.“ (ebd.)

Empirisch bereichert, aber in konzeptioneller Hinsicht etwas ratlos lassen mich die beiden Kapitel 3 und 4 zu den in der Stadtpolitik Verantwortlichen zurück. Es erschließt sich mir nicht, warum hier zwei Kapitel auf scheinbar dieselbe Empirie zugreifen (auch die Zitate doppeln sich) und dabei mit Interpretationen aufwarten, die so unterschiedlich nicht sind. Die konzeptionellen Interpretationen beider Kapitel sind ohnehin suchend angelegt, sie legen keine geschlossene Deutung vor; warum also nicht alle Überlegungen in einem gemeinsamen Resümee anbieten?

Ein weiteres die Beiträge verbindendes Thema ist die Frage nach der Rolle linker politischer Akteure in den Konflikten. Sind sie in der Lage, die auf dem Wohnungsmarkt auftretenden sozialen Konflikte positiv zu beeinflussen? Dazu werden in den Kapiteln 7 und 8 zwei Fälle präsentiert, in denen linke Initiativen aktiv werden, um rechtspopulistischen Deutungen vorzubeugen oder ihnen entgegenzutreten. Werden linke Initiativen wie etwa die Mieterbewegung von der Bevölkerung als politische Repräsentation angesehen – und damit als Alternative zur „Alternative für Deutschland“? Die Beiträge kommen zu unterschiedlichen Befunden. Der Fall des Leipziger Garagenhofs erregte nicht die Aufmerksamkeit linker Akteure, bietet das Milieu der Garagenbesitzer (alte weiße Männer mit einer DDR staatstragenden Biografie, die sich als Gruppe um das Thema Auto zusammenfindet) für links-alternative Gruppen doch so gar keine Berührungspunkte. Ganz anders im Quartier Hallschlag in Stuttgart, wo es eine Initiative gibt, die verschiedene Altersgruppen, soziale Milieus und politische Orientierungen vereint, um den von städtischer Seite initiierten Veränderungen des Quartiers zu begegnen. Dabei geht es um die Prekarisierung der Mietverhältnisse wie auch um die veränderten Freiräume, die vormals spontane Aneignungen entwerten oder soziale Praktiken im Freiraum ausschließen, weil sie nicht mehr in das neue Bild eines aufgewerteten Wohngebiets passen. Gerade dieser Initiative spricht die Autorin zu, das Politische (Rancière) zu beleben, der populistischen Lücke durch Analyse und Reflexion entgegen wirken zu können, doch ihre Argumentation am Ende des Kapitels bleibt zu kurz und vage, als dass sie überzeugen könnte. Im Stuttgarter Dieselkonflikt sind linke Politikangebote Teil der Polarisierung innerhalb des stadtweit geführten Konflikts und werden so als Bestandteil des Feindbilds angesehen, anstatt einer Instrumentalisierung entgegen wirken zu können.

Spannend, ehrlich, engagiert: lesenswert

Für mich als Stadtsoziologin waren die Kapitel des Buches am interessantesten, in denen es um die konkrete Verbindung zwischen der Anspannung des Wohnungsmarktes und rassistischen Orientierungen geht. Diesbezüglich sind die Fallstudien von Mackenroth und Bescherer, Kapitel 7 und 8, aufschlussreich. Sie belegen, wie die Prekarisierung der Wohnverhältnisse und rassistische Ressentiments aufeinandertreffen. Die Darstellungen zur Initiierung einer Mieterinitiative in Leipzig Schönefeld-Abtnaundorf sind faszinierend und haben zu Recht viel Platz im Buch bekommen. Der Quartiersteil „Schönefelder Höfe“, ehemals genossenschaftliche Bestände, wurde 2006 an eine private österreichische Immobiliengesellschaft und 2017 weiter an die VONOVIA verkauft. Gerade hier werden die Schwierigkeiten im Umgang mit der Gleichzeitigkeit von einerseits linker wohnungspolitischer Anwaltschaft und andererseits dem Umgang mit „Geschimpfe über die ‚lauten Zigeuner‘“ (S. 184), dem Ruf danach, „was gegen die Ausländer [zu] unternehmen“ (S. 200), Forderungen eine Bürgerwehr zu gründen etc. deutlich. Dabei reflektieren die Autor*innen die Grenzen ihrer eigenen Kommunikationspraktiken und ihrer Vorstellung von Organisation in der Zusammenarbeit mit einem anderen soziokulturellen Milieu, etwa im Hinblick auf den Verzicht auf das Gendern (also Mieterinitiative statt Mieter*inneninitiative) oder die Erfahrung, dass es keiner formalen Buffet-Liste bedarf, um beim gemeinsamen Sommerfest dennoch einen reich gedeckten Tisch vorzufinden. Die Hinweise, wie eigene Klarheit, Offenheit und respektvoller Umgang eine andere, politisch und sozialkulturell inklusive linke Praxis fördern können, sind sehr lesenswert.

Wie nun aber der Zusammenhang zwischen der Anspannung des Wohnungsmarktes und dem Aufkeimen rassistischer Ressentiments aussieht, wird leider nicht erhellt, die Plausibilisierung bleibt aus. Die Autor*innen kommen letztlich zu dem Befund, die Verbindung beider Elemente sei nicht erklärbar: „Ohnehin können Forschung und Praxis nicht mit Kausalitäten aufwarten. (Weil Vonovia den Börsenkurs stabil halten muss, steigen die Mieten; weil die Mieten steigen, neigen die Mieter*innen zu rechten Meinungen; …)“ (S. 204, Hervorh. im Original). Wir erfahren ausführlich, wie schwer es für die Forscher*innen war, als linke Aktivist*innen mit Menschen zu arbeiten, die ihre aus anderen Ländern stammenden Nachbar*innen ablehnen, doch die eigentlichen (Hinter-)Gründe dieser Ablehnung bleiben – anders als etwa Hochschilds „Deep Stories“ über die Hochburgen der Trump- und Tea-Party-Wähler*innen – weiterhin im Unklaren. Der Blick auf die populistische Lücke scheint noch mehr Aufmerksamkeit für die Lebenswelt und die affektiv-emotionalen Aspekte politischer Orientierungen zu benötigen, um dem adressierten Zusammenhang auf die Schliche zu kommen. Vielleicht aber sind ethnografische, also lebensweltlich-rekonstruktive Sozialforschung und die eigene Rolle als Aktivist*in nicht ganz so leicht miteinander vereinbar.

Dennoch schaffen die Autor*innen durchaus Bemerkenswertes: Sie reflektieren ihre eigene Blase und setzen sich dezidiert dafür ein, sie zu verlassen und „Gemeinsamkeiten dort zu suchen, wo man sie kulturell und habituell nicht unbedingt erwartet“, denn „nur mit denen, die ohnehin die gleichen Überzeugungen teilen, kann keine wirkliche Veränderung angestoßen werden“ (S. 180). Zum Schmunzeln brachte mich die Beschreibung jener linken wohnungspolitischen Blasen im gleichen Kapitel, in der von „Aktivist*innen, selten älter als 30 Jahre […], akademisch gebildet, mit szenetypischen Dress- und Sprachcodes“, die „es sich zur Lebensabschnittsaufgabe gemacht [haben], in selbstverwalteten Projekten gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse zu analysieren und Kampagnen zu planen“ (S. 177), die Rede ist. Stattdessen wird Transformative Community Organizing (TCO) als Ansatz gewählt, der von konkreten Alltagsproblemen ausgeht, hier aber bis zur Reflexion grundsätzlicher struktureller Missverhältnisse vordringen möchte.

Dennoch bleiben (wie immer) viele Fragen offen. Während das Buch eine lokalpolitische Perspektive und einen Strukturblick pflegt, wäre aus meiner Sicht auch ein lebensweltlicher Blick wichtig, um zu verstehen, wie sich die politischen Subjekte in der als krisenhaft erlebten Situation tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels tatsächlich in ihrer politischen Orientierung gegenüber rechtspopulistischen Deutungen und Narrativen öffnen, und welche Rolle dem lokalen Kontext dabei zukommt. Auch im Stuttgarter Stadtteil Hallschlag scheinen es einzelne Personen zu sein, die wiederholt rassistische Ressentiments äußern (gefühlt wird immer wieder Frau Otto zitiert) und auch in den Schönefelder Höfen wird es nicht nur rassistische Ressentiments geben. Die strukturell konzipierte populistische Lücke öffnet sich aber für alle vor Ort gleichermaßen. Wie erklärt sich dann, warum die einen nationalistische Deutungen heranziehen und andere nicht?

Überraschend wartet das Schlusskapitel dann doch mit einer eigenen Erklärung für die Hinwendung zu rechten und nationalistischen Deutungen auf, die zwar nicht so sorgfältig vorbereitet ist wie etwa Hochschilds Metapher der Warteschlange auf den American Dream, aber als kleine Deep Story dann doch eine emotional sensible Erklärung bietet, nämlich die These von der moralischen Entlastung, angelehnt an Möhring-Hesse (2013), der zufolge rechte und nationalistische Deutungen bei eigener Überforderung von den Ansprüchen an moralisches Handeln entlasten, davon, sich mit den moralischen Ansprüchen anderer befassen zu müssen. Stattdessen wird der Vorwurf, doppel- oder unmoralisch zu handeln, an die Eliten zurückgespielt.

Summa Summarum

Das Buch entführt die Lesenden in Situationen, in denen lokal-politische, scheinbar spezifische Auseinandersetzungen und populistische, nationalistische Argumentationen und Politiken aufeinandertreffen und sich überschneiden. Damit schafft es den seltenen Spagat zwischen einer kontextsensitiven Erforschung von Konflikten und der Suche nach übergreifenden Strukturen und Wirkungszusammenhängen, es gibt den Kontext nicht auf Kosten des Allgemeinen preis, verliert sich gleichzeitig aber auch nicht im Spezifischen. Zudem berücksichtigt es auch die Rolle linker Politikangebote und Bewegungen.

Den Spagat zwischen lokal Konkretem und Allgemeinem meistert das Team der Autor*innen über den Rückgriff auf die Heuristik der populistischen Lücke, die auf lokalpolitische Auseinandersetzungen bezogen angelegt wird. Letztere werden zudem qualitativ über verschiedene Methoden und multiperspektivisch über die Sichtweisen und Praktiken verschiedener Akteure beleuchtet. Derartige Forschungen sind in einem überwiegend quantitativ dominierten Forschungsfeld bislang rar gesät. Mehr davon, bitte!

  1. Helmut Dubiel, Das Gespenst des Populismus, in: Merkur 438 (1985), 39, S. 639–651.
  2. Ebd., S. 650.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Stephanie Kappacher.

Kategorien: Affekte / Emotionen Demokratie Diversity Migration / Flucht / Integration Rassismus / Diskriminierung Soziale Ungleichheit Sozialpolitik Stadt / Raum Zivilgesellschaft / Soziale Bewegungen

Katrin Großmann

Prof. Dr. Katrin Großmann lehrt Stadt- und Raumsoziologie an der FH Erfurt. In ihren Arbeiten verfolgt sie Fragen einer zukunftsfähigen Entwicklung von (Stadt-)Gesellschaften und verbindet hier normative Debatten mit analytischen Perspektiven. Sie forscht unter anderem zu sozialen Konflikten und Zuwanderung, Energiegerechtigkeit, schrumpfenden Städten und Kleinstädten.

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