Lukas Lachenicht | Rezension | 04.12.2025
Minsky und die Mittelschicht
Rezension zu „Die Asset-Ökonomie. Eigentum und die neue Logik der Ungleichheit“ von Lisa Adkins, Melinda Cooper und Martijn Konings
„Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit.“ Dieser Satz ertönt dieser Tage aus den unterschiedlichsten politischen Lagern der bundesdeutschen Debatte. Zu emblematisch scheint die Erfahrung all derer, die nach bezahlbarem Wohnraum suchen; zu allgegenwärtig die Berichte einer Überbelastung durch Wohnkosten und Verdrängung, als dass diesen Erfahrungen nicht zumindest verbal Anerkennung gezollt werden müsste. Doch jenseits der gängigen Lösungsformel „Bauen, Bauen, Bauen!“ und der neuen bundesrepublikanischen Rede vom „Bauturbo“ bleiben tiefergehende Analysen gegenwärtig Mangelware. Einen über den disziplinären Rand der Sozialwissenschaften hinaus viel diskutierten Erklärungsversuch hat hingegen das australische Autor:innen-Trio Lisa Adkins, Melinda Cooper und Martijn Konings in The Asset Economy vorgelegt, der erfreulicherweise inzwischen in deutscher Übersetzung veröffentlicht wurde.
Die zentrale These des Bandes, dass zunehmend „[n]icht durch Arbeit erwirtschaftete Einkünfte, sondern Vermögen, Anlagen, Immobilienbesitz und Erbschaften […] die Position in einer Gesellschaft [bestimmen]“,[1] mag zwar kaum mehr überraschen. Bei genauerer Betrachtung wartet das 150 Seiten kurze Buch jedoch mit einer profunden Analyse des gesellschaftlichen Stellenwerts von Vermögenswerten auf. Die Autor:innen docken damit an eine seit Mitte der 2010er-Jahre aufstrebende sozialwissenschaftliche Debatte um den Begriff des „Assets“ an, die in unterschiedlicher Akzentuierung auf eine Neukonfiguration kapitalistischer Ökonomien abstellt. Und so sprechen auch Adkins et al. von einer um Assets zentrierten „neuen Logik der Ungleichheit“: „In dieser […] verbindet sich die ‚hyperkapitalistische‘ Logik der Finanzialisierung mit der ‚feudalen‘ Logik der Erbschaft mit dem Effekt, dass sie die soziale Klassenstruktur insgesamt umgestaltet.“ (S. 18) Der Vermögenswert, den Adkins et al. hier ins Zentrum stellen, ist das Haus. Wohneigentum, so die Autor:innen, sei der Schlüssel zum Verständnis sozialer Ungleichheit im 21. Jahrhundert.
Neue Logiken der Ungleichheit – Eine produktiv-kritische Auseinandersetzung mit Pikettys „Kapital im 21. Jahrhundert“
Die Argumentation zehrt zunächst im Wesentlichen von einer kritischen Auseinandersetzung mit Thomas Pikettys Das Kapital im 21. Jahrhundert.[2] Piketty komme hierin unbestritten das Verdienst zu, erstmals eine systematische Darstellung der Vermögensentwicklung westlicher Gesellschaften vorgelegt zu haben. Adkins et al. zufolge finden sich allerdings nur wenige Hinweise auf die tieferliegenden Ursachen derselben. So weise sein Werk, abgesehen vom Postulat systemischer Gesetzmäßigkeiten,[3] zwar durchaus „kritische heterodoxe Zugänge“ im Sinne des konstruierten Wesens von Eigentumsrechten sowie des zukunftsgerichteten Charakters des Kapitals auf, jedoch gehe er dieser Intuition zu wenig nach. Insbesondere der Wertzuwachs im Wohnungswesen spiele die entscheidende – wenngleich theoretisch-konzeptionell vernachlässigte – Rolle in der von Piketty erzählten Geschichte. Die Autor:innen lenken damit den Blick entschieden auf die Inklusion weiter Teile der Mittelschichten in die Position der Wohneigentümer:innen und deren Beteiligung an der Vermögenspreisinflation. So habe sich schließlich „die Logik, nach der die Gesellschaft in Klassen strukturiert wird, grundlegend verschoben: Sie ist jetzt nicht mehr um Beschäftigung zentriert, sondern vielmehr um die Teilhabe an Asset-Besitz und -Wertsteigerung organisiert.“ (S. 21).
Wie der australische Fall zeige, habe vor allem der Wertzuwachs von Wohneigentum zu einem rasanten Anstieg des Vermögens in bereits bessergestellten Haushalten geführt. Gleichzeitig rücke der Erwerb einer Immobilie für all jene, die den Anschluss verpasst haben, zunehmend außer Reichweite. Mit einem durchschnittlichen Arbeitseinkommen seien die steigenden Wohnungspreise schlichtweg nicht mehr zu stemmen. Eher noch können sie dieses nun darauf verwenden, die Mieteinnahmen anderer zu liefern.[4] In der Folge bestimme zunehmend das Eigentum an Immobilien und nicht mehr das eigene Arbeitseinkommen über die Verteilung von Lebenschancen. Für Adkins et al. steht damit außer Frage, dass die Klassenstruktur anglo-kapitalistischer Gesellschaften einer konzeptionellen Revision bedarf. Entsprechend entwerfen sie ein eigenes Schema, differenziert in fünf Klassen. Die entscheidende Trennlinie basiert dabei nicht mehr auf dem klassischen Cleavage zwischen Kapital und Arbeit, sondern auf dem Besitz(stand) des Wohneigentums. Der Teil der „immobilienbesitzenden“ Klassen gliedert sich ferner in Investor:innen und Wohneigentümer:innen mit und ohne „(Hypotheken-)Belastung“ und steht schließlich Mieter:innen und Obdachlosen gegenüber (S. 95).
Die gegenwärtig ins Erwerbsleben einsteigenden Millennials seien sodann die Ersten, die diese Entwicklung mit voller Härte treffe; dementsprechend könne man sie auch als „Generation Rent“ bezeichnen. Damit habe diese neue Ungleichheitsdynamik durchaus eine generationelle Dimension. Wie die Autor:innen zu bedenken geben, solle diese jedoch nicht über die tieferliegenden Klassenrealitäten hinwegtäuschen, die gerade in der gestiegenen Bedeutung innerfamiliärer Geldtransfers und Erbschaften sichtbar werde.[5] So provokant die These von der triumphalen Relevanz von Vermögenswertzuwächsen auch erscheinen mag, sie ist, wie eingangs angedeutet, womöglich nicht einmal der spannendste Punkt der „Asset-Ökonomie“.
Ursprünge & Eigenlogik der Asset-Ökonomie
Das eigentliche Anliegen des Buches besteht vielmehr darin, die tieferliegenden Ursachen und Beharrungskräfte der Vermögenspreisinflation aufzudecken – und damit den Aufstieg jener gesellschaftlichen Formation nachzuvollziehen, deren „spezifische Logiken“ die Rede von einer Asset-Ökonomie erst plausibel machen. Hierfür stützen sich Adkins et al. auf die umfangreiche Literatur aus dem Feld der Cultural Economy und bisheriger Analysen neoliberaler Regierungsweisen. Vor allem aber erheben die Autor:innen den Anspruch, die legitimatorischen Zwänge gesellschaftlicher Ordnung einzubeziehen und damit nichts weniger zu liefern als eine:
„Intervention bezüglich der konzeptionellen Parameter der Neoliberalismus-Debatten, in denen Fragen zur jeweiligen Bedeutung der strukturellen ökonomischen Imperative auf der einen und der politischen und ideologischen Kämpfe auf der andern zentral gewesen sind.“ (S.123)
Wie so oft liegen bei derart groß angelegten Vorhaben Stärken und Schwächen nah beieinander. Der mittlere Teil des Buches, der sich der Entstehung der Asset-Ökonomie widmet, liest sich weitestgehend als soziologisch informierte historische Studie, die sich durch einen hohen Detailgrad und analytische Sorgfalt auszeichnet. Demgegenüber verlangen die kategorialen Neuschöpfungen zur Beschreibung der institutionellen Eigendynamik der Asset-Ökonomie in Kombination mit den wiederkehrenden Totalabsagen an konkurrierende Theorieangebote der Leser:in doch einiges an Wohlwollen ab. So zeichnet der mittlere Teil mit seiner lose an die Gouvernementalitätsstudien angelehnten Rekonstruktion neoliberaler Regierungsprogramme zunächst ein überzeugendes Bild der sich seit dem Ende der 1970er-Jahre vollziehenden Verschiebungen in der Beschäftigungs-, Steuer- und Geldpolitik, von denen ausgehend sich die Umkehrung der Inflationstendenzen, weg von den Verbraucherpreisen und hin zu Vermögenswerten, verstehen lässt. Bei der analytischen Beschreibung des Status quo der Asset-Ökonomie wechseln die Autor:innen jedoch erkennbar das Register und der dort angeschlagene Ton wird deutlich rauer. Ausgehend von einigen Ausführungen zur grundsätzlich spekulativen Natur des Kapitalismus und dessen Zukunftsgerichtetheit, die eben noch mit Verweis auf die alte Institutionenökonomie herausgestellt wurde, erfahren Leser:innen kurzerhand, dass sich diese Zeitstruktur mit dem bisherigen Begriffsinstrumentarium nicht abbilden lasse. Dabei durchzieht einige Passagen der Tenor, dass derartige um Kapital und Ware zentrierten Theorien entweder noch nie zu überzeugen vermochten[6] oder die Verschiebungen der vergangenen Jahrzehnte nicht abzubilden imstande seien:
„Und als Folge davon tun wir uns schwer damit, über eine streng normative Bewertung der Finanzwirtschaft als dysfunktional, spekulativ und parasitär hinauszudenken. Weil sich diese Art der Kritik faktisch so stark auf die quantitative Dimension des sich ausweitenden Finanzwesens fokussiert, ist sie unfähig, Licht in die qualitativen Veränderungen zu bringen, die die Finanzialisierung herbeigeführt hat.“ (S. 31)
Über diese qualitativen Veränderungen lassen uns die Autor:innen allerdings bedauerlicherweise im Dunkeln (siehe unten). Ebenso vage bleiben die eigenen theoretischen Referenzen, von denen es abseits der eigenwilligen Adaption Hyman Minskys (siehe unten) ja durchaus einige zu geben scheint.[7] Dies sorgt angesichts der Vehemenz, mit der anderen zeitgenössischen Theorien kurzerhand jegliche Erklärungsleistung abgesprochen wird, doch für etwas Verstimmung beim Rezensenten. An manchen Stellen des Buches wirkt es zwar so, als mache sich ein leichter Zweifel dahingehend bemerkbar, dass etwa schon immer „mit Vermögenswerten Geld verdient“ (S. 124) wurde. Doch dient dies allein der nachträglichen Absicherung gegen naheliegende Einwände, wobei der ausschlaggebende qualitative Unterschied in der Partizipation breiterer Wählerschichten ausgemacht wird. Hier wurde offenkundig die Suggestion einer freistehenden Theorie samt gänzlich neuer ökonomischer Formation um den Preis vieler fruchtbarer Anknüpfungspunkte erkauft. Dabei hätten diese nicht zuletzt Auskunft über die ominösen „qualitativen Verschiebungen der Finanzmärkte“ geben können.
Postfundamentale Ökonomen und handfeste Interessen
Der Denker, mit dessen Hilfe sich nun aber die Dynamik der Vermögenspreisinflation und die Einbindung der Mittelschichten konzeptualisieren lasse, ist laut Adkins et al. Hyman Minsky. Der Minsky, der hier aufgerufen wird, ist allerdings weder der Aktualisierer des radikalen Kerns des Keynesschen Programms noch der Denker einer „strukturellen Instabilität“, sondern ein „postfundamentalistischer Minsky“ (S. 122). In diesem Sinne sei, so der kursorische Verweis der Autor:innen auf die pragmatistischen Valuation Studies, jeder Wert, wie er auch am Anfang jener von Minsky beschriebenen kaskadenhaften Steigerungsdynamik steht, das Ergebnis von „Prozesse[n], die nicht einen vorgegebenen objektiven Wert widerspiegeln, sondern das sozioökonomische Terrain und seine Praktiken aktiv ausgestalten“ (S. 127). Noch müsse es notwendigerweise zu einem „Bust“, also einer auf einen wirtschaftlichen Boom folgenden Rezession, kommen.[8] So vielversprechend sich die vorgenommene Verknüpfung von Minsky mit pragmatistischen Werttheorien zunächst präsentiert, so wenig bemüht sie sich letztlich darum, die Leser:innen zu überzeugen. Mitunter mutet die Adaption der einzelnen Theorien daher eher als idiosynkratische Engführung an.
Ähnlich verhält es sich mit den infolge von „Demokratisierung von Wohneigentum“ (S. 79) und Vermögenspreisinflation veränderten Kalkülen und Dispositionen der Mittelschichtshaushalte. Die Autor:innen konstatieren hier gar die Transformation von einem „keynesianischen“ zu einem „minskyanischen“ Haushalt. Zusammengefasst habe sich nach einer Phase des Vermögensausbaus durch Einkommen aus Arbeit dieses Verhältnis unter neoliberalen Vorzeichen verkehrt. Die Inflation der eigenen Vermögenswerte ist demnach bereits elementarer Bestandteil des weiteren Vermögensaufbaus, da diese als beleihbare Sicherheiten für den Erwerb neuer Vermögenstitel fungieren – dieser Umstand wird gemeinhin mit steter Referenz auf Minsky als „Vermögenseffekt“ diskutiert.[9] In der Folge sei der typische Mittelschichtshaushalt selbst aktiv in die spekulative Dynamik der Vermögenspreisinflation investiert und gezwungen, seine Bilanzen zu managen. Aus diesem Grund stelle auch die Präferenz für Liquidität hier keine von Keynes als „irrational“ konzeptualisierte Neigung dar. Sie sei vielmehr, mit Minsky und Mehrling gesprochen, eine „Survival Constraint“. Für die Argumentation des Buches ist dies in theoretischer Hinsicht zentral, da die beschriebene „Survival Constraint“ mit den angesprochenen „Imperativen der politischen Legitimation“ (S. 24) korrespondiert.
Die nicht intendierten (Spät-)Folgen neoliberaler Politik: Asset-Price-Inflation, Legitimationsprobleme und Policy-Lock-In
Den Autor:innen zufolge könne es nur auf den ersten Blick verblüffen, dass die Finanzkrise keine grundsätzliche Trendwende in der Häuserpreisentwicklung in Gang gesetzt habe. Ihrer Auffassung nach lege dies nahe, dass dem Markt ein „auftreibendes Moment“ eingebaut sei. Letztlich erweise sich die Vermögenspreisinflation als das Produkt einer in ein bestimmtes institutionelles Gefüge eingelassenen pfadabhängigen Politik.
Was in der aufgerufenen theoretischen Komplexität des Buches zunächst als Stärke erscheint, verblasst an dieser Stelle sehr bald. Denn während Adkins et al. weder strukturelle Zwänge noch Ideologie am Werke sehen wollen (siehe oben), liegt der von ihnen gewählte Weg zwischen diesen beiden Übeln nun darin, sich in vorgeblich „soziologischer“ Manier auf die beinahe schon als objektiv konzipierten Interessen der Mittelschichten zu kaprizieren. Das in den mittleren Passagen des Buches angedeutete Interesse an neoliberalen Regierungsweisen und der Evidenz, die bestimmte Dispositive für neoliberale Diskurse generieren, scheint längst verflogen. Und so haben Lisa Adkins und ihre Kolleg:innen ebenso wenig die allseits vernehmbare staatliche Verpflichtung auf Austerität wie die Machtverhältnisse eines marktbasierten Finanzsystems vor Augen, sondern konzentrieren sich in erster Linie auf die Rolle der Mittelschicht:
„Angesichts der Strukturen, die im Verlauf der neoliberalen Ära aufgebaut wurden, verfügen Zentralbanken kaum über eine andere Möglichkeit, als Liquidität in die Finanzmärkte zu pumpen. Um zu verstehen, wie ein solcher politischer Lock-in-Effekt eintritt […], haben wir unsere volkswirtschaftliche Analyse stärker soziologisch ausgerichtet und die verschiedenen Wählerschichten beleuchtet, die diese Maßnahmen begrüßen.“ (S. 126, meine Hervorh., L.L.)
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass hier Strukturzwänge, die gerade noch mit großem konzeptionellen Wirbel aus dem Fenster geworfen wurden, wieder durch die Hintertür hereinkommen. Das folgende Zitat zielt auf die fortwährende Virulenz des neoliberalen Programms ab und bietet sich zur Illustration an, setzt es doch gewissermaßen den analytischen Rahmen und korrespondiert mit dem eingangs formulierten Anspruch des Buches:
„Zentral ist hier, wie die Wirtschaftspolitik mit den Imperativen der politischen Legitimation zusammenwirkt. Politische Maßnahmen (die steuerliche Bevorzugung von Kapitalerträgen, geringe Zinssätze), welche die Interessen einer Kernwählerschaft aus Bürger*innen mit Asset-Besitz bedienen, wirken sich zunehmend so aus, dass sie für andere den Aufstieg in diese soziale Schicht behindern. Dagegen sind die Maßnahmen mit dem Ziel, Wohneigentum erschwinglich zu machen, nicht nur in wahltaktischer Hinsicht heikel; sie dämpfen auch das Wirtschaftswachstum und gefährden den Aufbau von Beschäftigung [sic]. Folglich widerstehen nur wenige Regierungen der Versuchung, den Immobilienmarkt mit politischen Instrumenten anzukurbeln, und geben so dem Aufstieg der auf Asset-Besitz beruhenden Ungleichheit weiteren Auftrieb, obwohl sich zeigt, dass diese Instrumente zunehmend unwirksam werden und mit jeder neuen Runde mehr Kraftanstrengungen erfordern. Dies ist der ökonomische Hintergrund, vor dem die zentralen Aspekte der politischen Verwerfungen und des Aufruhrs im vergangenen Jahrzehnt betrachtet werden müssen.“ (S. 25)
Ungeachtet dessen, was Leser:innen inhaltlich von dieser Argumentation halten mögen, ist es doch interessant, dass Adkins et al. sich entgegen ihrer vorherigen Absage hier wieder „strukturalistischen“ Argumentationsweisen annähern, den „Imperativ“ politischer Legitimation jedoch nicht als „Strukturproblem“ begreifen.[10] Augenfällig ist diese Analogie zu Offes „Strukturproblemen des kapitalistischen Staates“ allen voran in Gestalt eines direkten als auch vermittelten Legitimitätsverlusts mangels erfolgreicher Integration kapitalistischer Ökonomien. Wenn also beispielsweise die besagten politischen Maßnahmen, die in diesem Fall auf die Bezahlbarkeit von Wohnraum zielen, vermeintlich das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigungsrate schmälern und sich darüber negativ auf den Imperativ politischer Legitimation auswirken. Hinzu kommt die bekannte Figur einer Erschöpfung bestimmter Regierungsweisen, die sich mit der zunehmenden Unwirksamkeit hergebrachter Instrumente ankündigt. Fraglich bleibt allerdings, inwieweit die mechanische Verknüpfung von Ursachen und Wirkungen bei Adkins et al. wiederum von strukturalistisch argumentierenden Autor:innen in der Tradition Claus Offes geteilt werden würde. In diesem Sinne stellt sich etwa in einigen Passagen die Frage, wessen Erklärung vom Ende des Keynesianismus hier eigentlich stillschweigend übernommen wird. Anstelle einer Explikation der angenommenen Kausalitäten lassen sich die Autor:innen bedauernswerterweise wiederum zu allerlei Unfähigkeitsunterstellungen gegenüber dem politökonomischen Diskurs herab – mit der Konsequenz, dass ihre eigene Argumentation selbst Gefahr läuft, eine monokausale Erklärung zu werden. Staatliche Entscheidungsträger:innen seien, so Adkins et al., angesichts des drohenden Legitimitätsverlusts nur allzu sehr geneigt gewesen, etwaigen Szenarien eines exzessiven Vermögenspreisverfalls von vornherein öffentliche Unterstützung in Form von zusätzlichen Lockerungen der Kreditvergaberegelungen und Leitzinssenkungen in Aussicht zu stellen.[11]
Resümee
Das Buch verspricht einen Erklärungsansatz für die fortwährende Virulenz neoliberaler Regierungsweisen. Dabei kommt ihm das Verdienst zu, die Verwerfungen auf den Wohnungsmärkten in Bezug zur Vermögenspreisinflation und Zentralbankpolitik zu setzen.
Abgesehen von der sich aufdrängenden Frage, ob sich die geschilderte Konstellation in Australien auf zentraleuropäische Wohnungsmärkte übertragen lässt, ist den Autor:innen zunächst zugutezuhalten, dass sie die Aufmerksamkeit auf eine politisch-institutionelle Dimension und deren Eigendynamik gelegt haben. Doch fällt dieser Fokus enttäuschend einseitig aus. Zwar wurde die Einbindung breiter Bevölkerungsschichten in Vermögenspositionen in anderen Arbeiten wiederkehrend als stabilisierendes Moment neoliberaler Regierungsweisen herausgestellt,[12] selten wird daraus jedoch der Schluss gezogen, dass sämtliche Interventionsfelder bis hin zur Geldpolitik unmittelbar durch die Interessenlage von Mittelschichtshaushalten bestimmt sind. Hätten nicht zuletzt die angedeuteten qualitativen Verschiebungen der Finanzmärkte ernsthafte Berücksichtigung gefunden, wäre vermutlich ein komplexeres Bild entstanden. Es stellt sich überdies die Frage, welchen legitimen Gegenstand eine soziologische Betrachtung haben kann, wenn sie nicht hinter die zwischenzeitlich überwunden geglaubte Trennung von wirtschaftlichen Kausalitäten einerseits und der vorgeblich daraus resultierenden Interessenlage einzelner Wählerschichten andererseits zurückfallen will. Bei aller Sympathie für das in Angriff genommene Vorhaben einer politischen Soziologie der Vermögenspreisinflation fällt es letztlich schwer, zu bezeugen, dass die drei Autor:innen ihrem erklärten Anspruch tatsächlich gerecht wurden.
Fußnoten
- So zumindest preist der Verlag auf seiner Webseite die zentrale Einsicht der Lektüre an.
- Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, übersetzt von Ilse Utz und Stefan Lorenzer, München 2014.
- Piketty hatte das von ihm als ursächlich identifizierte Verhältnis aus gesamtvolkswirtschaftlicher Wachstumsrate und durchschnittlicher Kapitalrendite schließlich auf die Kurzformel „r>g“ gebracht.
- Dabei ist allerdings bemerkenswerterweise der Zusammenhang von aufgerufenen Preisen und erzielbaren Mieten, anders als in anderen Debatten um „Assets“, gänzlich ausgeklammert.
- Melinda Cooper hat diese These an anderer Stelle bereits überzeugend im Sinne einer im neoliberalen Denken eingepreisten Re-Familiarisierung ausgearbeitet: Melinda Cooper, Family Values. Between Neoliberalism and the New Social Conservatism, New York 2017.
- Hierbei stützt sich die Argumentation maßgeblich auf die von Martijn Konings an anderer Stelle entwickelte Position einer postfundamentalistischen Kritik am Wertbegriff und dem der Ware: Martijn Konings, Kapital und Zeit. Für eine neue Kritik der neoliberalen Vernunft, übersetzt von Andreas G. Förster, Bielefeld 2021.
- So heißt es allenfalls: „Jüngere Forschungen, die sich auf die Logik von Kapitalisierung und Securitization konzentrieren, bringen uns die besonderen ökonomischen Wirkweisen der neoliberalen Ära deutlich näher.“ (S. 31)
- Auch an dieser Stelle empfiehlt sich die ergänzende Lektüre von Konings Kapital und Zeit zumindest insofern, als damit das grundlegende Argument verständlicher wird. So müssen Leser:innen sich immerhin nicht bereits davon abschließend überzeugen lassen, dass nur, weil konkurrierende Theorien nicht „den Tipping Point“ (S. 121) objektiv angeben können, ab dem eine „Rally“ von steigenden (Vermögens-)Werten in einen Bust umschlägt, sich gleichsam „strukturalistische“ beziehungsweise herkömmliche Positionen der politischen Ökonomie in Gänze erübrigt haben. Konings selbst verschränkt dort Luhmann mit der von Minsky und Perry Mehrling entlehnten Idee des „Money Grid“, dessen Stabilität durch Anschlusskommunikation gesichert wird – beziehungsweise um im Bild zu bleiben, als Kreditgeflecht, welches, solange seine neuen Verknüpfungen nicht abreißen, auch keine Krise produziert. Tatsächlich ließe sich behaupten, dass diese Vorstellung im Kontext der Zentralbankpolitik seit 2008 durchaus praktische Relevanz hat (vgl. dazu Nina Boy / Daniela Gabor, Collateral Times, in: Economy and Society 48 [2019], 3, S. 295–314).
- Vgl. exemplarisch Daniel Mertens, Erst sparen, dann kaufen? Privatverschuldung in Deutschland, Frankfurt am Main / New York 2015.
- Vgl. Claus Offe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staates. Aufsätze zur politischen Soziologie, veränderte Neuausgabe, hrsg. von Jens Borchert / Stephan Lessenich, Frankfurt am Main / New York 2006, S. 7–10; und die von den Autor:innen zitierte Greta R. Krippner, The making of US monetary policy: Central bank transparency and the neoliberal dilemma, in: Theory and Society 6 (2007), 36, S. 477–513; sowie Wolfgang Streeck, Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, Berlin 2013.
- Vgl. den vielsagenden Titel des ebenfalls auf Soziopolis erschienenen Interviews: Lisa Adkins / Martijn Konings, Die Mittelschicht der Eigentümer ist too big to fail, in: Soziopolis, 17.5.2022.
- Klassisch: Pierre Bourdieu u.a., Der Einzige und sein Eigenheim, herausgegeben von Margareta Steinrücke, aus dem Französischen übersetzt von Jürgen Bolder, Franz Hector und Joachim Wilke, erweiterte Neuausgabe, unveränderter Nachdruck, Hamburg 2002, S. 181.
Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Noah Serve, Stephanie Kappacher.
Kategorien: Geld / Finanzen Kapitalismus / Postkapitalismus Politische Ökonomie Soziale Ungleichheit Wirtschaft
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