Herbert Schwaab | Essay |

Alltag und Gemeinschaft

Eine Auseinandersetzung mit Sitcoms anhand der Serie „Schitt’s Creek“

In einer der ersten Episoden der Sitcom Schitt’s Creek (Kanada, 2015–2020) dreht der ehemalige Soap-Opera-Star Moira Rose einen Spot für ein Fruchtweingut, dessen Produkte sie selbst verabscheut. Vor Aufregung trinkt sie dennoch zu viel von ebenjenem Fruchtwein, sodass sie den Namen des Produzenten Herb Ertlinger auf alle erdenklichen Weisen verdreht und falsch ausspricht. Sechzig Jahre früher findet sich in einem der ersten Sitcom-Klassiker I love Lucy (USA, 1951–1957) eine ähnliche Szene, in der die von Lucille Ball gespielte Hauptfigur bei der Probe für einen live ausgestrahlten Werbespot für das tonisch-medizinische Getränk Vitametavegemin, das überraschend viel Alkohol enthält, immer weniger in der Lage ist, den komplizierten Namen des Produkts und andere Begriffe korrekt auszusprechen.

Schitt’s Creek gewann unter anderem 2020 bei der Verleihung der Emmys, dem wichtigsten Fernsehpreis der USA, sieben Auszeichnungen in wichtigen Kategorien. Der große Erfolg der Sitcom zeigt, dass das Genre immer noch relevant ist. Dabei ist Schitt’s Creek eine neuartige Sitcom, die auf den ersten Blick wenig Gemeinsamkeiten mit älteren Vertretern des Genres hat: Sie spielt nicht in einem bühnenartigen Set und hat auch kein Studiopublikum; sie hat keine laugh tracks, die die Handlung begleiten und es den Zuschauenden erleichtern, mitzulachen; die Charaktere halten sich nicht vorwiegend in Innenräumen wie dem Zuhause, sondern erstaunlich oft auf der Straße oder in der Natur auf; und sie teilt auch nicht die statische, episodische Natur vieler sogenannter Single-Camera-Sitcoms, die auf Film und ohne Publikum gedreht wurden. Letztere sollten etwa in den 1950er-Jahren konservative Familienwerte und die Attraktivität eines abgeschotteten Lebens in den neu entstandenen Suburbs bewerben. Ein Beispiel hierfür ist die Sitcom Father Knows Best (USA, 1954–1960), die den Vater zum Zentrum der Familie macht.[1] Neuere Sitcoms verschreiben sich immer stärker dem fortlaufenden Erzählen und der Entwicklung von Charakteren. Bereits bei Friends (USA, 1994–2004) in den 1990er-Jahren ist eine Kombination aus episodischen und fortlaufenden Handlungssträngen zu beobachten, die seitdem zum Standard vieler Sitcoms geworden ist. iIch möchte anhand verschiedener Charakteristika deutlich machen, dass Schitt’s Creek einerseits die Sitcom weiterentwickelt, andererseits aber gerade deswegen populär ist, weil es auch Merkmale ‚klassischer‘ Sitcoms hat.

Große Fische im kleinen Teich

Die Geschichte der in sechs Staffeln zu je 13 Episoden produzierten Sitcom beginnt mit dem rasanten Abstieg der Familie Rose, die durch die Machenschaften eines Geschäftspartners des Vaters ihr Vermögen verliert und ihr großes Anwesen verlassen muss. Was den Eltern und den beiden Mitte 20-jährigen Kindern noch bleibt, ist die Kleinstadt Schitt’s Creek, die Vater Johnny, gespielt von Eugene Levy, einst aus Spaß erstanden hatte und in der sie nun Zuflucht finden. Daniel Levy, der in der Serie den Sohn David spielt, hatte zusammen mit seinem Vater Eugene die Idee zu Schitt’s Creek und ist der wichtigste Autor der Serie. Er nennt Reality Soaps wie Keeping Up with the Kardashians (USA, 2007–2021) als Inspiration für seine Sitcom,[2] die sich als Auseinandersetzung mit sozialen Status, Luxus und Konsum, queerer Kultur und Alltag verstehen lässt. Sie lebt vor allem von der Kondensierung der von Reichtum und Überfluss geprägten Leben der Figuren, die sich in den engen Rahmen einer Provinzstadt einpassen müssen.

Moira Rose, die von Catherine O’Hara gespielte Mutter, ist ein ehemaliger Soap-Opera-Star, was sich in ihren großen Gesten und ständigen Kostüm- und Perückenwechseln zeigt – ihre Outfits erscheinen für die Alltagssituationen im Ort meist unpassend. Auch David kollidiert in seinen ähnlich großen, exaltierten Gesten, eine bisweilen etwas übertrieben stereotype Performance queeren Lebens, und seinen Konsumansprüchen mit der scheinbar wenig metropolitanen Welt. Seine Schwester Alexis (Annie Murphy) verkörpert als fröhliches It-Girl Celebrity-Kultur und Jet-Set-Leben, sie findet sich rasch bei einer wenig glamourösen Arbeit im Empfangszimmer einer Tierarztpraxis wieder. Johnny trägt immer noch elegant geschneiderte Anzüge, die ihn als einstigen Repräsentanten eines Firmenimperiums ausweisen, führt aber seine verbliebenen Geschäfte zeitweise von einem lieblos zwischen Gerümpel platzierten Schreibtisch in einer Autowerkstatt.

Klassischer Sitcom-Humor: Slapstick, Inkongruenz, Performance

Neben Slapstick und Wortwitz, die sich in Schitt’s Creek vor allem im Sarkasmus der Figuren gegenüber den Zumutungen der Provinz äußern, ist Inkongruenz eines der grundlegenden Merkmale nicht nur dieser Serie, sondern auch von Komik in Sitcoms allgemein.[3] Sitcoms provozieren bestimmte Konstellationen und Situationen: Was wiederfährt zum Beispiel einer Frau, die es ihrem Mann gleichtun und wie er im Showbusiness reüssieren will, allerdings – begleitet von Slapstick-Katastrophen – immer wieder daran scheitert, wie in I Love Lucy aus den 1950er-Jahren? Was geschieht mit einer Familie, wenn ein Außerirdischer bei ihnen landet und lebt, wie in Alf (USA, 1986–1990)? Wie ergeht es einem sorglosen Lebemann, wenn sein neurotischer und erfolgloser Bruder nach einer Trennung zusammen mit seinem Sohn in sein Haus in Malibu Beach einzieht, wie in Two and a Half Man (USA, 2003–2015)? Schitt’s Creek lebt fast allein davon, Menschen, die viel Platz brauchen, in ein Motel und in die kleinstädtische Welt von Schitt’s Creek einzupferchen und – durch die ungewohnte Enge – ihrer Performance einen zu kleinen Radius zu setzen.

Die Serie ist auch deswegen eine klassische Sitcom, weil sie von überzeichneten Figuren lebt, die selten den Eindruck vermitteln, sich ändern zu können. Viele Figuren in Sitcoms verkörpern ein komisches Stereotyp, das an klassische Theaterformen wie der Commedia dell’Arte denken lässt. Die Sitcom erfordert nicht das Spielen einer Figur, sie braucht vielmehr eine Performance, die uns eben nicht vergessen lässt, dass es Schauspielende sind, die die Figuren verkörpern. Two and a Half Man lebt nicht nur von Charlie Harper, auch Hauptdarsteller Charlie Sheen sorgt mit seinen privaten Exzessen für Schlagzeilen. Die Performance erinnert uns immer wieder daran, dass wir eine Darbietung sehen, wie es Brett Mills als Merkmal der Sitcom beschreibt.[4] Dadurch bekommen Sitcoms einen theatralen und künstlichen Charakter, der sich Schitt’s Creek unter anderem in Davids queerer Extravaganz zeigt.

Neuer Humor und neue Ästhetik

Was Schitt’s Creek jedoch als neuartige Sitcom mit einem anderen Humor und einer veränderten Ästhetik ausweist, ist ihr Fokus auf Peinlichkeit und Cringe. Diese Entwicklung begann mit den sogenannten mockumentarischen Sitcoms, Brett Mills verweist hier auf die britische Urversion von The Office (GB, 2001–2003), die als erste Sitcom so getan hat, als würde mit den dokumentarischen Mitteln des Reality TV der Alltag von Menschen begleitet. Die mockumentarische Sitcom arbeitet mit dem beobachtenden Gestus von Handkameras, die den Figuren und ihren – meist improvisierten – Handlungen folgen. Sie vermitteln so ein voyeuristisches Gefühl des Überwachens und Ertappens, das bei den Zuschauenden eine unmittelbare Regung der Scham hervorruft. Inszenierung und Wirkung sind also anders als bei einer traditionellen Sitcom, die zwar durch ihren Live-Charakter und ihre Live-Produktion vor Publikum ähnlich direkt die Zuschauenden ansprechen kann, aber aufgrund der Studiobühne auch eine gewisse Distanz zu den Ereignissen ermöglicht.

Die peinigenden Bilder der mockumentarischen Sitcom lassen eine solche Distanz nicht zu:[5] In The Office sind wir ungeschützt den peinlichen Ausfällen des überaus inkompetenten Chefs einer kleinen Firmenabteilung ausgesetzt, der durch seine ungeschickten Versuche, die Rolle eines Chefs zu verkörpern, ständig Normen überschreitet. In Modern Family (USA, 2009–2020), dem erfolgreichsten Vertreter dieses Genres, passiert ähnliches unter anderem bei Familienvater Phil, der sich für unkonventionell und modern hält, aber durch sein Verhalten ständig in unangenehme Situationen gerät, diesmal aber eher innerhalb der komplexen Familienbande und nicht im öffentlichen Rahmen eines Arbeitsplatzes. Schitt’s Creek teilt zwar nicht die mockumentarische Ästhetik, löst aber ähnlich wie die genannten Beispiele die Bühnenwelt der Sitcom auf und dringt tiefer in die Alltagswelt ein, in der sowohl die Familienmitglieder als auch einige Bewohner:innen von Schitt’s Creek, wie Bürgermeister Roland Schitt (Chris Elliot), Cringe-Momente produzieren.

Banalität und Absurdität des Alltags

Die Erkundung des Alltags ist ein weiteres Motiv von Schitt’s Creek. Die Sitcom handelt nicht nur von komischen Formen der Inkongruenz durch unangemessenes Verhalten, sie beobachtet auch einen Prozess der behutsamen Anpassung der metropolitanen Figuren an das Leben in der Provinz. Die Sitcom ist – mit dem Reality TV und der Soap Opera – eines der Fernsehgenres, die dessen starke Ausrichtung auf Alltag und damit auch einen großen Unterschied zum Kino markieren. Die Welt der Sitcom ist viel kleiner und unbedeutender als die Welt vieler Kinofilme. So fokussiert sich beispielsweise The Honeymooners (USA, 1955–1956) auf das enge Set des spärlich eingerichteten Wohnzimmers eines Busfahrers und seiner Frau, ähnlich wie Schitt’s Creek spielt die Serie damit, dass der große Körper und die exaltierte Performance des Busfahrers nicht in diesen Raum passen.[6] Sitcoms handeln oft von alltäglichen Bedürfnissen wie Essen, Einkaufen oder Schlafen – und ihrer Befriedigung: Ganze Episoden drehen sich um den Kauf eines Autos oder eines Fernsehers. In der Sitcom Seinfeld (USA, 1989–1998) war die Auseinandersetzung mit den scheinbar banalen Angelegenheiten des Lebens so stark, dass sie häufig als eine Show über nichts bezeichnet wurde.[7] So handelt etwa eine Folge nur davon, wie Jerry Seinfeld und seine Freunde auf einen Tisch in einem Restaurant warten, den sie nie bekommen werden.[8]

Schitt’s Creek lässt sich fast als analytische Studie eines engräumigen und armen Alltags verstehen, analog zu den beengten Studiosets der 1950er-Jahre spielen viele Szenen in den zwei Motelzimmern, die dieFamilie Rose bewohnen muss, oder in dem einfachen Café Tropical, das nur durch grotesk überdimensionierte Speisekarten etwas Größe für sich beanspruchen kann. Bei genauem Hinsehen erkundet die Serie den Alltag ihrer Figuren allerdings wesentlich feinfühliger als Live-Sitcoms oder mockumentarische Sitcoms: Die Aneinanderreihung von unspektakulären Situationen, die die schwache Dramaturgie einer Sitcom auszeichnet, passiert in Schitt’s Creek in einem gemächlichen Rhythmus von relativ langen Einstellungen. Die so entstehende Ruhe – die in interessantem Gegensatz zur Exaltiertheit einiger Figuren steht – wird verstärkt zum einen durch die fehlenden laugh tracks und die behutsame musikalische Untermalung mit Blasmusik, zum anderen durch die Ausrichtung auf den Ort und die umgebende Natur, deren Farben und Geräusche sinnlich wahrnehmbar werden. Schitt’s Creek setzt sich mit der Banalität, aber auch mit der Schönheit des Alltags auseinander und erneuert so auf unscheinbare Weise die Sitcom-Ästhetik.

Catherine O’Hara und Eugene Levy schließen mit diesem Alltagsbezug direkt an eine Reihe von mockumentarischen Improvisationskomödien an, die sie zusammen mit Christopher Guest in den 1990er- und 2000er-Jahren produzierten, etwa Waiting for Guffman (USA, 1996), das sich um die Musicalaufführung einer Amateurtheatertruppe in der US-amerikanischen Kleinstadt Blaine dreht und sich in einem ähnlichen Setting von Banalität und unpassenden Ambitionen bewegt wie Schitt’s Creek, oder Best in Show (USA, 2009), das mehrere Hunde und ihre Besitzer:innen bei einem Auftritt in einer nationalen Hundeshow begleitet. Für Guest, Regisseur und Darsteller dieser und ähnlicher Mockumentaries, war es immer ein Ziel, Realität abzubilden, diese aber „one step futher“ zu führen.[9]

Schitt’s Creek, woran Guest nicht beteiligt war, ist so eine minimal bis stark ins Absurde gewendete Darstellung der Realität. So sehen wir, wie sich Moira zur Stadträtin wählen lässt und in ausladenden Outfits mit den Details kommunaler Politik konfrontiert ist, wie der überaus modische David im Bekleidungsgeschäft Blouse Barn arbeitet und dort Haute Couture und extravagant geschnittene Ponchos verkaufen will, wie Alexis mit Mitte zwanzig wieder die örtliche High School besucht, um ihren Schulabschluss nachzuholen, und komplett in den Alltag eines Schulteenagers einzutauchen versucht oder wie Johnny, der ein großes Familienunternehmen geführt hat, kläglich bei der Arbeit an der Rezeption des Motels scheitert und dieses, als Folge seiner großen Naivität, zu einem Stundenhotel wird.

Identifikation mit den Bewohner:innen von Schitt’s Creek

Die Integrationsversuche münden oft in peinliche Desaster, weil Familie Rose den Menschen von Schitt’s Creek immer wieder mit Arroganz begegnet. Moira hält es zum Beispiel wegen ihrer Broadway-Vergangenheit nicht für nötig, sich auf eine Audition für die örtliche Gesangstruppe namens Jazzagals vorzubereiten und wird von der stimmlichen Brillanz eines anderen Mitglieds überrascht. Ihr eigener, nur noch widerwillig dargebotener Beitrag – eine ungelenke Improvisation, die sie mit einem Eggshaker begleitet – ist der verzweifelte Versuch, mit etwas Würde aus der Situation herauszukommen. Dass die Menschen von Schitt’s Creek Talente haben und eben nicht naiv sind, ist ein zentrales Motiv dieser Sitcom, das vielleicht erklärt, warum sich die Zuschauer:innen trotz aller Peinlichkeit und Inkongruenz mit der Sitcom identifizieren.

Die Bewohner:innen von Schitt’s Creek erweisen sich häufig als die kompetenteren Figuren mit mehr Einfühlungsvermögen und Realitätssinn. Das zeigt sich in der Beziehung der nüchtern-kontrollierten Motelbesitzerin Stevie zu dem dramatisch-unruhigen David, zwischen denen sich trotz ihrer Unterschiede im Laufe der Sitcom eine enge, auf gegenseitigem Respekt beruhende Freundschaft entwickelt. Und Jocelyn, die Ehefrau von Roland Schitt, ist mit ihrer aus der Zeit gefallenen Fönfrisur mehr als nur die Karikatur einer Kleinstadthausfrau: In vielen Momenten erweist sie sich durch ihr Verständnis von sozialen Beziehungen als überlegen gegenüber den bisweilen überheblich wirkenden Mitgliedern der Familie Rose. Dies prägt auch die On/Off-Beziehung ihres Sohnes Mutt mit Rose-Tochter Alexis, wenn der hemdsärmelige Zimmermann mit Alexis in einer Yoga-Klasse Entspannungsübungen macht. Die Provinz ist hier ebenso rural wie smart.

Auseinandersetzung mit Gemeinschaft

Katherine Schaab spricht in einem Beitrag zu Schitt’s Creek davon, dass es sich hier um den besonderen Fall einer Sitcom handele, die das Bild einer Gemeinschaft ohne Machtgefälle zeichnet.[10] Daher entstehen neben vielen peinlichen Momenten der Fremdscham, die sich aus der Egozentrik der Figuren ergeben, auch kleine Szenen der Eintracht und der gelungenen Kommunikation, die die engen Bindungen der Familie – untereinander, aber auch nach außen – zum Ausdruck bringen. Immer wieder wird gezeigt, dass und wie sich Familie Rose mit den Menschen in Schitt’s Creek solidarisiert. So platzen Roland und Jocelyn Schitt am Ende der zweiten Staffel zwar wenig sensibel in ein Dinner von Johnny und Moira, die im Restaurant alten, reichen Freund:innen aus New York wiederbegegnet sind. Als sich die Freund:innen allerdings über den Namen des Ortes lustig machen, unwissend, dass die Familie dort jetzt leben muss, und die Gefühle von Bürgermeister Roland verletzen (nach dessen Vorfahren der Ort benannt ist), gibt es einen überaus rührenden Moment: Johnny erkennt an, dass Schitt’s Creek seine Heimat geworden ist und dass Roland Schitt und die anderen Bewohner:innen von Schitt’s Creek trotz aller Konflikte und Irritationen die einzigen Menschen sind, von denen sie Solidarität und Unterstützung erwarten können. Er bedankt sich bei ihnen und stellt gleichzeitig seine alten Freund:innen bloß, die ihn verleugnet haben, als er arm wurde. Die Episode endet damit, dass Johnny und Moira gemeinsam mit Roland und Jocelyn das Restaurant verlassen und eine Party in Schitt’s Creek besuchen, auf der auch ihre Kinder sind. Dort feiern sie mit ihren neuen Freund:innen, was der Staffel ein überaus versöhnliches und emotional bewegendes Ende gibt.

Darin zeigt sich das Potenzial des Sitcom-Genres, Gemeinschaft abzubilden und zum Nachdenken über das Wesen von Solidarität und Gesellschaft anzuregen. Die Sitcom Cheers (USA, 1982–1993) ist dafür ein gutes Beispiel. Sie spielt in einer Kneipe und begreift diese nicht nur als Raum, in dem sich Gemeinschaften zusammenfinden, es ist auch ein Raum des öffentlichen Diskurses, in dem beispielweise darum gerungen wird, ein Verhältnis zu nicht heteronormativen Formen des Zusammenlebens zu finden. Robert S. Brown versucht, diesen Sitcom-Ort mit Theorien eines herrschaftsfreien Diskurses von Habermas zu diskutieren, und macht unter anderem deutlich, wie Cheers im Laufe mehrerer Staffeln immer größere Toleranz gegenüber Homosexualität entwickelt.[11] Die politische und gesellschaftliche Bedeutung von Schitt’s Creek ist vielleicht nicht ganz so offensichtlich, aber zu zeigen, wie Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenkommen, miteinander sprechen, sich ertragen und sich sogar mögen, ist auch relevant – angesichts von immer größeren Zerwürfnissen und der immer kleiner werdenden Bereitschaft, sich mit Menschen anderer sozialer Milieus auseinanderzusetzen.

Schitt’s Creek ist eine klassische Sitcom, weil sie Menschen und ihren Alltag beobachtet, sich bisweilen geradezu analytisch auf das Verhalten von Menschen ausrichtet. Sie pendelt zwischen den Extremen einer künstlichen Performance und einer mal nüchternen, mal poetischen Beobachtung. Sie ermöglicht Identifikation, indem sie neben episodischen, komischen Ereignissen auch die Entwicklung der Figuren und deren Verhältnis zueinander in den Blick nimmt. Sie hat zudem das Potenzial der Sitcom im Besonderen und des Fernsehens im Allgemeinen realisiert, Bilder von Gemeinschaften zu konstruieren – ein Potenzial, das das Fernsehen immer noch besitzt, auch wenn es sich mittlerweile in die vielen Öffentlichkeiten von Nischensendern und Streamingdiensten ausdifferenziert hat und zu einem unübersichtlichen Ensemble verschiedenster Mediengeräte – Smartphone, Beamer, Computer, und Flachbildschirmen – geworden ist, mit denen immer wieder neue Situationen des Fernsehschauens geschaffen werden.[12]

Dass eine Sitcom nicht nur eine Abbildung des banalen Alltags, sondern auch dessen Apotheose sein kann, zeigt sich in einer der letzten Szene aus der sechsten Staffel von Schitt’s Creek, in der David und Stevie auf einem Auto sitzen und über das drohende Ende von Davids Beziehung zu seinem Freund Patrick diskutieren. Wir sind nicht nur von Davids ungewohnten Tränen bewegt, sondern auch von den Geräuschen des Windes, die sich immer stärker in den Vordergrund drängen und sich wie eine zweite Schicht über den Dialog legen. So nah ist die vom Alltag faszinierte Sitcom der Wirklichkeit selten gekommen.

  1. Mary Beth Haralovich, Sitcoms and Suburbs. Positioning the 1950s Homemaker, in: Joanne Morreale (Hg.), Critiquing the Sitcom. A Reader, New York 2003, S. 69–85, hier S. 70 f.
  2. Katharine Schaab, Upending the Status Quo. Power-Sharing and Community Building in Schitt’s Creek, in: Critical Studies in Television 15 (2020), 2, S. 148–161, hier S. 149.
  3. Jeremy G. Butler, The Sitcom, London / New York 2020, S. 8.
  4. Brett Mills, Television Sitcom, London 2005, S. 72 f.
  5. Vgl. Brett Mills, Comedy Verité. Contemporary Sitcom Form, in: Screen 45 (2004), 1, S. 63–78.
  6. Virginia Wright Wexman, Returning from the Moon. Jackie Gleason and the Carnivalesque, in: Morreale (Hg.), Critiquing the Sitcom, S. 56–68, hier S. 63 f.
  7. Butler, The Sitcom, S. 86.
  8. Seinfeld, The Chinese Restaurant, Staffel 2, Episode 6.
  9. John Kenneth Muir, Best in Show. The Films of Christopher Guest and Company, New York 2004, S. 3.
  10. Schaab, Upending the Status Quo, S. 149.
  11. Robert S. Brown, Cheers. Searching for the Ideal Public Sphere in the Ideal Public House, in: Mary M. Dalton / Laura R. Linder (Hg.), The Sitcom Reader. America Viewed and Skewed, Albany 2003, S. 253–260, hier S. 259.
  12. Vgl. die Studie von Vera Klocke, Feldforschung auf dem Sofa. Fernsehen in Haushalten der Gegenwart, Bielefeld 2024; dazu auch die Rezension auf Soziopolis.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Henriette Liebhart.

Kategorien: Familie / Jugend / Alter Geld / Finanzen Konsum Lebensformen Medien Pop

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Herbert Schwaab

Dr. Herbert Schwaab lehrt als Medienwissenschaftler an der Universität Regensburg. Er forscht und publiziert unter anderem zu Fernsehserien, zu Autismuskultur, Anime und zur Medialität des Fahrrads.

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