Hannah Schmidt-Ott | Rezension |

Arbeitskampf im Orbit

Rezension zu „Science Fiction und Labour Fiction. Zukunftsvorstellungen von Arbeit und Arbeitskämpfen“ von Peter Seyferth und Falko Blumenthal (Hg.)

Peter Seyferth / Falko Blumenthal (Hg.):
Science Fiction und Labour Fiction. Zukunftsvorstellungen von Arbeit und Arbeitskämpfen
Deutschland
Bielefeld 2025: Transcript
318 S., 49,00 EUR
ISBN 978-3-8376-7067-7

Tina hat einen harten Job. Genau genommen gleich mehrere. Auf Online-Plattformen bietet sie Dienste in den Bereichen „Hand“, „Herz“ und „Hose“ an, also handwerkliche, emotionale und sexuelle Dienstleistungen. Am liebsten ist ihr Handarbeit, aber gebucht wird sie selten – die Jobs sind knapp, das Geld noch knapper. Erst Sabotageaufträge in den Betrieben eines gewissen Glenn Nachhal verbessern ihre finanzielle Lage. Die drakonischen Strafen, die dafür in einer hochtechnisierten Gesellschaft drohen, deren oberste Maxime Wiederverwertung ist, blendet sie aus. Das geht allerdings nur so lange gut, bis sie nach einer erfolgreichen Sabotageaktion ein Social-Media-Video des schwer mitgenommenen Unternehmers aus einem Impuls heraus mit einem Herz-Like versieht …

Theresa Hannigs Kurzgeschichte Hand, Herz und Hose ist einer von 15 Beiträgen im Sammelband Science Fiction und Labour Fiction. Zukunftsvorstellungen von Arbeit und Arbeitskämpfen. Dass eine wissenschaftliche Textsammlung neben akademischen Analysen auch eine literarische Erzählung enthält, ist ungewöhnlich. Wenn der Band sich aber gerade mit den Erkenntnismöglichkeiten des Science-Fiction-Genres befasst, ist es nur konsequent, auch das Erzählen selbst als Erkenntnismittel ernst zu nehmen.

Doch warum ausgerechnet Science-Fiction, wenn es um die Zukunft von Arbeit und Arbeitskämpfen geht? „Wir leben in einer Science Fiction-Welt“, konstatieren die Herausgeber Peter Seyferth und Falko Blumenthal gleich im ersten Satz ihrer Einleitung. Doch ihre These geht noch weiter. Weil Realität und Science-Fiction sich einander stetig annähern, braucht es ein Denken, das sich in Gedankenexperimenten mit der konstitutiven Offenheit der Zukunft und der umstrittenen Vieldeutigkeit der Vergangenheit vertraut macht: „Wir müssen in der Science Fiction heimisch werden.“ (S. 9) Wie Markus May und Jan Oliver Schwarz zeigen, beruht die dort erzeugte Verfremdung – anders als etwa im Fantasy-Genre – nicht auf übernatürlichen Phänomenen. Stattdessen finden sich „Plausibilisierungsstrategien, die den erkenntnistheoretischen Erfordernissen eines (pseudo-)naturwissenschaftlichen Denkens entsprechen müssen, wenngleich es sich dabei häufig um Formen von Diskursmimikry handelt“ (S. 50). Zukunftserzählungen, wie sie in der Science-Fiction oder der utopischen Literatur vorkommen, sagen etwas über die Gegenwart, in der sie entstehen, sie wirken aber auch auf sie zurück. Das ist politisch relevant, und zwar nicht nur, weil Elon Musk den Mars besiedeln will. Auch für den Arbeitskampf, so das Argument der Herausgeber, können und sollen Science-Fiction-Szenarien nutzbar gemacht werden.

Aber wie sah es in der Vergangenheit aus? Haben sich frühere Science-Fiction-Szenarien realisiert? In seinem Beitrag Virtuelle Welten im Kinojahr 1995 – Ist die Zukunft mittlerweile eingetreten? wirft Christian Ganzer einen „Rückblick auf vier Filme“ und überprüft deren prognostische Potenziale anhand eines Abgleichs mit den tatsächlichen Entwicklungen. 1995 liefen nämlich gleich vier mäßig erfolgreiche US-Science-Fiction-Filme in den Kinos, die das Internet zum Gegenstand hatten und sich um das Thema Arbeit drehten: Vernetzt – Johnny Mnemonic (Robert Longo), Das Netz (Irwin Winkler), Hackers – Im Netz des FBI (Iain Softley) und Strange Days (Kathryn Bigelow). Die meisten davon sind billige Produktionen, „oft nahe am B-Movie“ (S. 85), und haben darüber hinaus gemeinsam, dass ihre Handlung in unserer Gegenwart spielt.

Wie also inszenierten besagte Filme den technischen Stand der 2020er-Jahre? Manchmal durchaus trashig, aber im Kern ziemlich realistisch.

In den USA der frühen 1990er-Jahre, als die Filme produziert wurden, gab es das Internet zwar bereits, ubiquitär war es aber noch lange nicht. Nur wenige Privatpersonen surften durchs Netz und verschickten E-Mails. Zumeist waren es große Unternehmen, die begannen, ihre eigenen, geschlossenen Systeme mit dem Internet zu verknüpfen. Unsere heutige Realität hätte aus damaliger Sicht ohne Weiteres als Science-Fiction-Szenario durchgehen können – man denke allein an Smartphones und deren Möglichkeiten. Wie also inszenierten besagte Filme den technischen Stand der 2020er-Jahre? Manchmal durchaus trashig (Blitze jagen durch Datenkabel), aber im Kern ziemlich realistisch, wie etwa ein genauerer Blick auf „Das Netz“ zeigt. Die Protagonistin, gespielt von Sandra Bullock, arbeitet als Programmiererin und fristet ein einsiedlerisches Dasein, das sie größtenteils im Internet verbringt: 100 Prozent Homeoffice, soziale Kontakte werden überwiegend via Chat gepflegt, Pizza wird im Internet geordert. Klingt eigentlich ziemlich normal – aus heutiger Perspektive.

Leider wird ihr dieser Lebenswandel zum Verhängnis, als ihr Chef ihr eine Diskette mit einem mysteriösen Programm zukommen lässt und ums Leben kommt, bevor er ihr sagen kann, was es damit auf sich hat. Damit nicht genug will eine Geheimorganisation Bullock die Diskette wieder abnehmen und greift dafür zu drastischen, aus heutiger Perspektive aber naheliegenden Mitteln: Ihre Einträge im Straf- und Melderegister werden so verändert, dass sie ihre Identität nicht mehr beweisen kann. Aus dem Internet kennen die Verfolger jedes noch so kleine Detail ihres Lebens (Kreditkartendaten, Sozialversicherungsnummer, Krankengeschichte) und verwenden es gegen sie. Letztlich findet sie heraus, was auf der Diskette ist, welcher Bösewicht daraus Profit schlagen will, und kann den Spuk beenden – Hollywood eben. Dennoch, so Ganzers Conclusio, zeigt der Film, „was auf die Menschen an den Bildschirmarbeitsplätzen, aber auch alle anderen zukommen würde, wenn sich Arbeit und Leben ins Internet verlagern und sie dort, egal was sie tun, Datenspuren hinterlassen“ (S. 95).

Science-Fiction hat in der Vergangenheit also durchaus zutreffende Bilder der damaligen Zukunft gezeichnet. Wie kann das Genre uns einen Blick in die gegenwärtige Zukunft eröffnen? Zwei Beiträge des Bandes stellen Ansätze vor, die Science-Fiction für die Zukunfts- und Innovationsforschung heranziehen. In seinem Aufsatz Die Arbeit der Zukunft und Science Fiction präsentiert Oliver Pfirrmann „Methodische Erläuterungen und Beispiele aus einer szenariobasierten Analyse“. Die zentrale Frage der vorgestellten Studie ist nicht weniger als: „Wie sieht die Arbeit im Übergang zum 22. Jahrhundert aus?“ (S. 63) Ihr wurde mittels Szenariotechnik nachgegangen, einem Verfahren, mit dem „mehrere Zukünfte, bspw. unter Berücksichtigung mehrerer Einflussgrößen“ (S. 64) dargestellt werden können. Szenarien sind Geschichten, die gleichermaßen kohärente wie glaubwürdige Entwicklungen beschreiben, was extensive Recherchearbeit, hier etwa in der Arbeitsforschung, voraussetzt. Doch auch Science-Fiction-Narrative fließen in diese Szenarien ein, denn sie erproben „im ‚was-wäre-wenn‘-Modus die sozialen, ökonomischen und politischen Konsequenzen der ihr zu Grunde liegenden technologischen Veränderungen“ (S. 67). Besonders deutlich wird das im Cyberpunk – etwa in den Matrix-Filmen –, wo von Informationstechnologie dominierte Zukünfte entworfen werden, in denen Tech-Konzerne auch politisch Relevanz erlangen. Die Erarbeitung solcher Szenarien ist ein vielstufiger Prozess, in dem quanti- und qualitative Methoden zum Einsatz kommen. Die Resultate reichen von vollständig fremdbestimmter Arbeit in einer KI-basierten Technokratie bis zur gänzlichen Abschaffung von Erwerbsarbeit im Rahmen einer Postwachstumsökonomie. Es bleibt also spannend.

Science-Fiction ist untrennbar mit einer wissenschaftlich-rationalen Weltsicht verknüpft und damit für reale Innovationsprozesse anschlussfähig.

Science-Fiction entfaltet ihr prognostisches Potenzial vor allem dann, wenn sie selbst zur Inspiration für die Gestaltung der Zukunft wird: May und Schwarz skizzieren in ihrem Beitrag mit dem Titel FOREXSCIFI. Foresight auf der Basis von Science Fiction ein Forschungsvorhaben, das Science-Fiction als „ein Archiv prospektiver, innovativer Ideen“ versteht, „und somit als eine interessante Quelle für Organisationen, die auf der Suche nach Innovationen sind“ (S. 56). Praktisch sollen riesige Korpora von Science-Fiction-Texten mit Methoden der Digital Humanities bearbeitet und so „zukunftsweisende Neuerungen“ (S. 49) extrapoliert werden. Denn Science-Fiction ist untrennbar mit einer wissenschaftlich-rationalen Weltsicht verknüpft und damit für reale Innovationsprozesse anschlussfähig. Ein Beispiel einer Science-Fiction-Idee, die den Sprung in die Realität geschafft hat, ist ein frühes Modell des Motorola-Klapphandys. Dessen Name – StarTAC – und mehr noch dessen Design sind unverkennbar an den Tricorder aus Star Trek angelehnt. Doch der „explorative[] Charakter“ von Science-Fiction beschränkt sich nicht auf technische Neuerungen. Indem sie erzählerisch in gesellschaftliche Kontexte eingebettet werden, kann Science-Fiction auch die sozialen Folgen von Innovationen ausloten.

Der Band bietet auch arbeitssoziologische Perspektiven: Rudolf Thomas Indersts Beitrag Please Press ‚X‘ to Unionize! Arbeiter:innen-Kampf und -Aufstände in der Digitalspiel Ökosphäre widmet sich – neben drei digitalen Spielen, in deren Narrativen Arbeitskämpfe eine zentrale Rolle spielen (Tonight We Riot, Red Faction: Guerrilla und Fallout 76) – auch den Arbeitsbedingungen in der Spielebranche. Das Stichwort lautet „Crunch-Kultur“; es bezeichnet „eine Praxis in der Spieleindustrie, bei der Entwickler:innen-Teams über längere Zeiträume hinweg unverhältnismäßig hohe Arbeitsbelastung und Überstunden auf sich nehmen, um Fristen oder Projektziele zu erreichen, was oft zu physischer und emotionaler Erschöpfung führt“ (S. 133).

Der Organisationsgrad der jungen und finanziell sehr erfolgreichen Branche ist niedrig. Das hängt einerseits mit der Diversität der Jobs zusammen, die im Spektrum zwischen Kunst und Vertrieb angesiedelt sind, ist aber andererseits auch auf die starke Verbreitung von Projektarbeit und freiberuflichen Tätigkeiten zurückzuführen. Doch zumindest in den USA zeichnet sich ein Wandel ab. Ähnlich wie bei anderen Großkonzernen wie Apple oder Google werden auch in den großen Unternehmen der Spieleindustrie zunehmend Gewerkschaften gegründet. Anders sieht es in Deutschland aus: Ein 2018 ins Leben gerufener Verband, der die Interessen der Beschäftigten in der Branche vertreten soll, konnte bislang kaum arbeitspolitischen Einfluss gewinnen.

Darüber, wie dieser Einfluss zu gewinnen wäre, denkt Aaron Bruckmiller in seinem Theoriebeitrag Politische Fantasie in Zeiten asymmetrischer Hegemonie nach. Er fragt, welche Funktion „utopische und andere Fantasien für die politische Praxis unter gegenwärtigen Bedingungen haben“ (S. 105). Ausgangspunkt ist ein Hegemoniebegriff, den der Autor mit Antonio Gramsci – und über ihn hinaus – entwickelt: Hegemonie beschreibt hier kein Verhältnis zwischen – zumindest potenziell – gleichstarken Akteuren, sondern fußt auf einer konstitutiven Asymmetrie zwischen ihnen. Im Neoliberalismus sind diese asymmetrischen Machtverhältnisse die Norm. Bruckmillers These: „Die Regierenden organisieren in solchen asymmetrischen Situationen ihre Hegemonie nach dem Schema der Aufstandsbekämpfung in hybriden Konflikten.“ (S. 121)

Dementsprechend entwirft der Autor drei gegenhegemoniale Strategien, die sich an Guerilla-Taktiken orientieren und derer sich „Gewerkschaften und andere am sozialen Fortschritt interessierte Akteure“ (ebd.) bedienen können: Da nicht mit kurzfristigen Erfolgen oder Misserfolgen zu rechnen ist, braucht es erstens eine langfristige politische Strategie, die nicht auf die Selbstausbeutung Einzelner setzt. Zweitens sind strategische Entscheidungen vonnöten, die auch das Nicht-Aufbegehren gegen bestimmte Missstände bedeuten können – zumindest für den Moment. Nicht minder wichtig sind aber entschiedene Strategien, die, wenn sie Konflikte angehen, dies mit Entschlossenheit tun. Drittens – und das ist der relevanteste Punkt – müssen politische Strategien Bilder von der Zukunft entwerfen, mit denen sie auch bislang passive Mehrheiten erreichen und mobilisieren. Es braucht durchsetzungsstarke Erzählungen und für diese wiederum politische Vorstellungskraft.

Diese politische Fantasie versteht Bruckmiller – im Rückgriff auf den Soziologen Karl Mannheim, den Philosophen Paul Ricœur und die Utopieforscherin Ruth Levitas – als einen Ort, an dem „Rationalität und Irrationalität nicht schon im Vorhinein absolut gegenübergestellt werden, sondern als umkämpfte und auch widersprüchlich in einander [sic] verschlungene Elemente analysiert werden können“ (S. 120). Science-Fiction und utopische Literatur entwerfen alternative gesellschaftliche Wirklichkeiten und können so dazu beitragen, anderen Deutungsmustern politische Geltung zu verschaffen und sozialen Wandel voranzutreiben.

Die schön kuratierte Beitragskompilation zeigt, auf welch vielfältige Weise das spekulative Potenzial von Science-Fiction ausgeschöpft werden kann.

Neben einem Aufsatz von Annette Schlemm, die die Rolle des Privateigentums in Utopien untersucht, arbeiten die übrigen Beiträge heraus, wie Science-Fiction-Romane (z. B. Bernhard Kellermanns Der Tunnel), -Filme (Marvels Black Panther) und -Franchises (etwa Star Trek) die Themen Arbeit, Arbeitskampf oder Ökonomie verhandeln – und fragen, ob sie sich als Blaupausen für die politische Praxis eignen. Die Mischung ist bunt, aber keineswegs beliebig: Theorieentwürfe, Studiendesigns und ideengeschichtliche Reflexionen wechseln sich ab mit popkulturellen und literaturwissenschaftlichen Analysen. Dazwischen kommen – angenehm unprätentiös – Mitglieder der IG Metall München zu Wort, die in kurzen Zitaten erzählen, welche Bedeutung Science-Fiction für sie als Gewerkschafter:innen hat. Einen umfassenden Überblick über den Themenkomplex bietet der Band also nicht. Das ist jedoch kein Nachteil: Gerade in ihrer Heterogenität und den punktuellen Zugriffen entfaltet diese schön kuratierte Beitragskompilation ihre Stärke und zeigt, auf welch vielfältige Weise das spekulative Potenzial von Science-Fiction ausgeschöpft werden kann.

In Hannigs Kurzgeschichte stellt sich schlussendlich heraus, dass es der vermeintlich leidtragende Unternehmer Nachhal selbst war, der Tina die Sabotageaufträge an seinen eigenen Robotern und Maschinen erteilte. Der Grund: Der gesellschaftliche Zwang zur restlosen Wiederverwertung steht technischem Fortschritt im Wege. Insofern ist Innovation nur durch Zerstörung von Technik möglich. Und weil die KI nicht manipulierbar und die Selbstreparatur in den Code eingeschrieben ist, kann das nur von Menschenhand bewerkstelligt werden. Hannig entwirft also ein Zukunftsszenario, in dem die Besitzer der Produktionsmittel selbst zum Maschinensturm rufen. Klingt abwegig? Genau.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Stephanie Kappacher.

Kategorien: Arbeit / Industrie Gesellschaft Kunst / Ästhetik Methoden / Forschung Politik Wissenschaft Zeit / Zukunft

Hannah Schmidt-Ott

Hannah Schmidt-Ott ist Soziologin. Sie arbeitet am Hamburger Institut für Sozialforschung als Redakteurin der Zeitschrift Mittelweg 36 sowie des Internetportals Soziopolis.

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