Clemens Boehncke | Essay |

Erinnerungspolitik, bajuwarisch

Kommentar zum „Gutachten über die Juristen Otto Palandt und Heinrich Schönfelder“

Im Juni des Jahres 2021 entschied die juristische Sparte des Verlages C.H.Beck, eine Vielzahl seiner „Standardwerke“ (sprich: Longseller) umzubenennen. Die Namen derjenigen Autoren, die, so eine Pressemitteilung des Verlages, eine „aktive Rolle“ im Nationalsozialismus gespielt hätten, sollten nicht länger auf Einbänden und Buchrücken prangen.[1] Die drei wohl bekanntesten der betroffenen Titel, die im juristischen Berufsalltag nicht fehlen dürfen: Die bis dato als Schönfelder bezeichnete Loseblattsammlung, benannt nach Heinrich Schönfelder (1902–1944), der Kurzkommentar zum BGB, bekannt als Palandt, benannt nach Otto Palandt (1877–1951) und zuletzt der einflussreiche Kommentar zum Grundgesetz, von dessen Buchdeckel der Name Theodor Maunz (1901–1993) verschwand.

Die Entscheidung des Verlages fiel auch auf Druck der umtriebigen und über Jahre hinweg öffentlichkeitswirksam agierenden Initiative „Palandt umbenennen“.[2] Letztlich ausschlaggebend dürfte jedoch das Einwirken des bayerischen Staatsministers der Justiz, Georg Eisenreich, gewesen sein. Dieser hatte noch vor der Bekanntgabe vonseiten des Traditionsverlages beim Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ) eine Forschungsarbeit in Auftrag gegeben, die den „Umfang“, in welchem die drei Autoren „mit ihren Tätigkeiten in das NS-Unrechtsregime verwickelt waren“, erkunden und bewerten sollte.[3] Die drei Autoren? Pardon, zwei. Denn eine Auseinandersetzung mit Theodor Maunz beinhaltete der Forschungsauftrag nicht, er umfasste nur Schönfelder und Palandt. Warum? Hierüber wird noch zu sprechen sein.

Der Beschluss des Verlagshauses zur Umbenennung traf derweil fast ausschließlich auf fachöffentliche wie öffentliche Zustimmung. Man kann sich freilich streiten, inwiefern die Maßnahme, unliebsame Namen schlicht zu überpinseln, für den Umgang mit der NS-Vergangenheit der deutschen Rechtswissenschaft der Weisheit letzter Schluss ist.[4] Diesseits solcher Kardinalfragen verdient jedoch auch die Tatsache Beachtung, dass C.H.Beck darauf verzichtete, den Ausdruck „aktive Rolle“ irgendwie weiterführend zu bestimmen. Dass das diskussionswürdige Entscheidungen nach sich zog, hat zuletzt Susanne Paas am Fall Ernst von Hippels erörtert, dessen Name nun nicht mehr auf einer Sammlung von Landesgesetzen Nordrhein-Westfalens zu finden ist.[5] Die als Vermutung geäußerte Frage der Autorin, ob sich der Verlag in seiner Entscheidung womöglich vor allem auf von Hippels Wikipedia-Eintrag gestützt haben könnte, möchte man nach der Lektüre ihres Aufsatzes bejahen.[6] Insofern müsste die vom bayerischen Staatsministerium der Justiz beauftragte Forschung, als gewissermaßen lege artis erarbeitete Bewertungsgrundlage, zu begrüßen sein – oder? Auch hierüber wird noch zu sprechen sein.

„Vorbehaltlose“ Funktionäre

Die Ergebnisse der von Lutz Kreller (IfZ) durchgeführten Auftragsforschung, wurden im Juni dieses Jahres zunächst in Form eines Kurzgutachtens veröffentlicht[7] sowie im Rahmen einer Podiumsdiskussion im Münchner Justizpalast präsentiert und diskutiert.[8] Eine Veröffentlichung des vollständigen Gutachtens in Form einer Monografie ist – Stand heute – für das Jahr 2024 geplant.[9] Wie ist der Autor vorgegangen und zu welchen Einschätzungen gelangt er? Zielsetzung war es, anhand der „Karriereverläufe“ von Otto Palandt und Heinrich Schönfelder zu eruieren, „wie ‚NS-belastet‘“ die beiden gewesen seien. Hier nimmt der Autor nicht allein die Zeit zwischen 1933 und 1945 (im Falle Schönfelders 1944) in den Blick: Auch die Zeit vor der sogenannten ‚Machtergreifung‘, mithin die „gesamte Biografie“ wird rekonstruiert, denn erst anhand dieser würden die „spezifische[n] Prägungen“ des juristischen Denkens deutlich, auf deren Grundlage das Verhalten von Palandt und Schönfelder im Nationalsozialismus „valide“ bewertet werden könne.[10]

Kreller kommt zu folgenden Ergebnissen: Palandt habe zwar vor 1933 keine Verbindung zur nationalsozialistischen Bewegung gehabt und sei auch im NS-Staat zunächst nur gewöhnliches Mitglied der Partei und des sogenannten ‚Rechtswahrerbundes‘ gewesen; er habe jedoch bereits ab Juni 1933 in seiner Funktion als Vize- und später Präsident der bald als ‚Reichsjustizprüfungsamt‘ organisierten Behörde aktiv an der Umstrukturierung des rechtswissenschaftlichen Ausbildungs- und Prüfwesens im Sinne des Nationalsozialismus mitgewirkt. Etwa habe er an einer entsprechend zugeschnittenen Justizprüfungsordnung mitgearbeitet und darauf hingewirkt, die Examenskandidaten auch hinsichtlich ihrer weltanschaulichen Linientreue zu mustern. Als alleiniger Herausgeber des seit 1939 als ‚Palandt‘ veröffentlichten Kommentars zum BGB habe er für die „willkürlichen, antisemitisch und rassistisch motivierten Dimensionen“[11] des nationalsozialistisch umgedeuteten Zivilrechts eingestanden. An keiner Stelle habe er irgendeine Art kritische Distanz zum eigenen Handeln erkennen lassen; noch nach 1943 ersuchte er aus dem Ruhestand heraus die Wiedereinsetzung in ein Richteramt, seine Selbstdarstellung im Entnazifizierungsverfahren 1948 war von den (beinahe als ‚normal‘ zu bezeichnenden) Beschönigungen und berechnenden Lücken geprägt.

Heinrich Schönfelder wiederum habe, als 1902 Geborener, in den 1920er-Jahren den nicht untypischen Prozess einer „völkisch-nationalistischen Radikalisierung“ durchlaufen, unter anderem als Bundesbruder der Tübinger Landsmannschaft Schottland.[12] Bereits seine Dissertation, veröffentlicht 1927 unter dem Titel Die Veredelung der Diktatur, wirbt für die Umorganisation des deutschen Staatswesens nach dem Vorbild des italienischen Faschismus. In der von ihm ab 1929 verantworteten Ausbildungsliteratur-Reihe Prüfe dein Wissen habe Schönfelder seine Fallbeispiele „suggestiv und manipulativ entlang antisemitischer und antisozialistischer Stereotype“ entworfen.[13] In den Jahren von 1940 bis 1944 war er unter anderem als Richter bei der Wehrmacht tätig und habe dort, so gehe es aus dienstlichen Beurteilungen hervor, stets „engagiert im Sinne des NS-Regimes“ gehandelt.[14]

Auf Grundlage der Analyse dieser ‚Karriereverläufe‘ kommt der Autor zu einem recht eindeutigen Urteil: Otto Palandt habe „dem Nationalsozialismus rückhaltlos gedient“ und die „Politik des NS-Regimes stets gefördert“.[15] Ebenso habe Heinrich Schönfelder „sich vorbehaltlos mit den Zielen des Nationalsozialismus identifiziert und als Beamter und Richter zu deren Umsetzung beigetragen“.[16]

Auftragsforschung als „re-search“

Das Gutachten gibt einen konzisen Überblick über die jeweilige Rolle Palandts und Schönfelders in der juristischen Funktionselite des NS-Regimes. Vor dem Hintergrund der eindeutigen Bewertung vonseiten des Autors wird der Auftraggeber, Staatsminister Eisenreich, in einer Pressemitteilung unter anderem mit den Worten zitiert, die „Vermutungen“ über jene Rollen hätten sich durch die Begutachtung „bestätigt“.[17] Die Wortwahl macht stutzig. Hatte es sich bis dahin etwa nur um ‚Vermutungen‘ gehandelt? Das kann nur meinen, wer die Statements kauft, mit denen die Pressemitteilung des Bayerischen Staatsministeriums zum Forschungsauftrag aufwartet. Dort heißt es, über das Wirken von Palandt und Schönfelder im Nationalsozialismus sei „bislang noch wenig bekannt. Für eine fundierte Bewertung der beiden Personen ist die bestehende Forschungsliteratur noch nicht ausreichend.“[18]

Mit Verlaub: das ist schlichtweg falsch. Zu Heinrich Schönfelder hat bereits 1997 Hans Wrobel eine – im Übrigen bei C.H.Beck erschienene –, knapp 200 Seiten starke Biografie vorgelegt. Dort werden alle für den Forschungsauftrag relevanten Aspekte behandelt: Schönfelder als Verbindungsstudent, als juristischer Schriftsteller vor und nach 1933, als Teil der nationalsozialistischen ‚Bewegung‘, als Kriegsgerichtsrat, gar als Mitglied des synkretistisch-spiritualistischen Mazdaznan-Vereins.[19] Hinzu kommen kleinere Beiträge, wie etwa von Jens Gal, der sich 2013 mit dem Hintergründen der Eponyme Beck’scher Loseblattsammlungen befasst hat.[20] Die Publikationen zu Otto Palandt wiederum häufen sich. Hier seien nur die wichtigsten genannt: Den Auftakt machte erneut Hans Wrobel, und zwar bereits 1982: In einen ausführlichen Aufsatz in der Kritischen Justiz behandelte er Palandts Funktionen im Nationalsozialismus ebenso wie seine Rolle bei der Bearbeitung des Kurzkommentars.[21] Im Jahr 2000 erweiterte Klaus Slapnicar diese Auseinandersetzung um von Wrobel nicht ausgewertete Quellen.[22] 2007 folgten weitere Ausführungen von Elena Barnert.[23] Über die Behörde, in der Palandt maßgeblich gewirkt hat, hat Martin Würfel 2019 eine Monografie veröffentlicht[24] und vor kaum zwei Jahren erschien ein weiterer ausführlicher Aufsatz von Tina Knuth über die Entstehungsgeschichte des Kurzkommentars.[25] Für diejenigen, die jetzt noch nicht genug haben: Der Verlag C.H.Beck selbst führt auf seiner Website ein kleines Verzeichnis ausgewählter Literatur mit 33 Einträgen zu Person und Kommentar.[26]

Schwer verständlich, dass jemand diese Literaturlage für „nicht ausreichend“ und für eine „fundierte“ Bewertung des Verhältnisses von Palandt, Schönfelder und Nationalsozialismus als ungenügend betrachten kann. Ebenso ist es schwer verständlich, wenn etwa rechtswissenschaftliche Kommentatoren vor Veröffentlichung des Gutachtens meinten, der „Umbenennungsvorgang“ durch den Verlag sei „ohne die eigentlich unabdingbare rechtshistorische Grundlagenforschung“ vorgenommen worden.[27] Mithin ist das vorliegende Kurzgutachten jene Art Forschung, die der polnische Sozialwissenschaftler Stanislav Andreski einmal als „re-search“[28] bezeichnet hat: Es wurde bereits alles geschrieben, nur noch nicht von jedem. Das bedeutet freilich nicht, dass das monografische Gutachten, welches Lutz Kreller noch vorlegen wird, nicht noch weitere interessante biografische und rechtshistorische Details zutage fördern kann. Nur wohl kaum hinsichtlich der vom Staatsministerium beauftragten Forschung, die sich ja explizit auf die „NS-Verstrickung“ bezog. In dieser Angelegenheit ist die Sachlage seit rund 25 beziehungsweise 40 Jahren klar.

Damit reiht sich die Begutachtung in eine Serie staatlich beauftragter Forschungen ein, die mit der Untersuchung zur NS-Vergangenheit des Bundesaußenministeriums Mitte der 2000er-Jahre ihren Anfang nahm.[29] Böse Stimmen munkeln, der Forschungszweig sei für die beteiligten Wissenschaftler:innen mehr als „Goldesel und Arbeitsbeschaffungsmaßnahme denn als Erkenntnisquelle“[30] von Bedeutung und die beauftragenden Institutionen stünden in einem „Wettbewerb […], wer am höchsten belastet gewesen sei, wer am verwerflichsten verschwiegen habe und wer nunmehr die schonungsloseste Selbstanklage vorlege“.[31] Auch wenn der Umfang des Palandt-Schönfelder-Gutachtens deutlich geringer ausfällt und es sich nicht um „Behördenforschung“ im engeren Sinne handelt, geht es doch auf vergleichbare Weise um die evidenzbasierte Aufarbeitung der NS-Verbindungen eines Münchner Traditionsunternehmens, welches zudem qua Branchenzweig sich auch in unbestreitbarer Nähe zu Politik, Justiz und Rechtswissenschaft im Freistaat Bayern wie im Bund bewegt. Damit unterliegt es in ebenso vergleichbarer Weise den nicht selten widersprüchlichen Anforderungen wissenschaftlicher Tätigkeit und politisch-medialer Arena. Das wird insbesondere an der Person deutlich, die nicht begutachtet wurde.

Einen Dritten gibt es nicht

Palandt und Schönfelder haben als Forschungsobjekte nämlich einen entscheidenden Vorteil: sie sind schon lange tot. Heinrich Schönfelder wird noch im Zweiten Weltkrieg bei einem Angriff auf eine Fahrzeugkolonne in Italien getötet, Palandt verstirbt mit 74 Jahren im Dezember 1951. Somit kam beiden keine ‚aktive Rolle‘ in der bundesrepublikanischen Geschichte zu; man kann sie bei ihrer Bearbeitung also gut auf Distanz halten. Bei der Figur, die der Forschungsauftrag ausspart, Theodor Maunz, verstorben 1993, sieht das anders aus.

Doch vielleicht hat es gute Gründe gegeben, Maunz keiner weiteren Begutachtung zu unterziehen. Waren etwa die für die „fundierte Bewertung“ notwendigen Quellen schwer oder gar nicht verfügbar? Wohl kaum. Der Hauptkorpus, also der wissenschaftliche und der private Nachlass, liegt im Bayerischen Hauptstaatsarchiv respektive im Stadtarchiv München, also sozusagen um die Ecke. Die Bestände sind auch nicht für die Benutzung gesperrt oder anderweitig unzugänglich.[32] Oder ist Maunz‘ „aktive Rolle in der NS-Zeit“, wie das Staatsministerium argumentierte, „bereits wissenschaftlich aufgearbeitet“?[33] Nun, das scheint bei der Auseinandersetzung mit Palandt und Schönfelder auch nicht entscheidend gewesen zu sein – außer natürlich man tut den oben genannten Autorinnen und Autoren den Gefallen, ihre Arbeiten als unwissenschaftlich zu qualifizieren. Zudem stellte Michael Stolleis noch 2014 fest, eine umfassende Biografie von Theodor Maunz, die auch systematisch die vorhandenen Nachlässe auswerte, liege bis dato noch nicht vor.[34] Daran hat sich – soweit ersichtlich – bis heute nichts Grundlegendes geändert.[35] Eventuell hätte also gerade eine Auseinandersetzung mit Maunz ‚neue‘ Erkenntnisse geboten. Könnte aber vielleicht, wie das Staatsministerium auf eine Rückfrage von Legal Tribune Online angab, das besondere Interesse an den Fällen Palandt und Schönfelder darauf zurückzuführen sei, dass die bisher unter ihren Namen firmierenden Titel als Hilfsmittel zur Staatsprüfung zugelassen sind?[36] Das überzeugt nicht einmal im Ansatz. Sollte das in Auftrag gegebene Gutachten etwa insbesondere für diejenigen Nutzer:innen gedacht sein, die sich gerade auf ihr Assessorexamen vorbereiten – als hätten die keine anderen Sorgen? Und hätten die wenigen besonders Engagierten nicht auf die oben angeführte Literatur zu den Namensgebern zurückgreifen können? Zudem ist der Einfluss, den der (ehemalige) Maunz/Dürig im Öffentlichen Recht hat, sicher mit dem des Palandts im Zivilrecht vergleichbar, landesrechtliche Hilfsmittelverordnungen hin oder her.

Dass sich das Gutachten nicht mit der Biografie von Theodor Maunz befasst, hat seinen Ursprung wohl eher in der Landespolitik Bayerns, genauer der Parteigeschichte der CSU. Zur Erinnerung (denn um irgendeine Form von Arkanwissen handelt es sich wirklich nicht)[37]: Theodor Maunz, der im April 1954 seinen Aufnahmeantrag in die CSU stellte, war in den Jahren nach 1957 Kultusminister des Bundeslandes. Als im Juni 1964 der Anwalt Konrad Redeker in der Neuen Juristischen Wochenschrift auf einige von Maunz‘ Veröffentlichungen aus der NS-Zeit hinwies und feststellte, Maunz habe einen „personalisierten, allein auf den Führerwillen bezogenen Begriff der Rechtsordnung“ vertreten,[38] wurde die zu bis diesem Zeitpunkt freilich nicht unbekannte NS-Vergangenheit des Kultusministers auf eine Weise öffentlich thematisiert, die Maunz letztlich dazu zwang, seinen Rücktritt anzubieten.[39] Er verschwand, von sporadischen rechtswissenschaftlichen Veröffentlichungen abgesehen, von der Bildfläche. Kurz nach Maunz‘ Tod im September 1993 offenbarte der rechtsextreme Gerhard Frey jedoch, Maunz habe ihn über mehrere Jahrzehnte hinweg in seiner Funktion als Vorsitzender der Partei „Deutsche Volksunion“ politisch und juristisch beraten und zudem regelmäßig anonym in der rechtsradikalen „Deutschen National-Zeitung“ veröffentlicht.[40] Daraufhin brach sowohl innerhalb der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer als auch in der breiteren Öffentlichkeit eine mit harten Bandagen geführte Diskussion los – schließlich war unter anderem der bald darauf das Bundespräsidentenamt bekleidende Roman Herzog ein ehemaliger Assistent von Maunz.[41] Die Debatte drehte sich auch um das Verhältnis von Konservatismus, Rechtsextremismus und Neonazismus innerhalb der CSU.

Es ist nicht undenkbar, dass das CSU-geführte Staatsministerium der Justiz, als es die Nachforschung in Auftrag gab, schlicht kein Interesse daran hatte, diese für die Partei wenig rühmliche Episode wieder in den Arbeitsbereich zeithistorischer Forschung und die Wahrnehmung der medialen Öffentlichkeit zu holen. Denn wäre Maunz‘ Biografie und dessen „Karriereverlauf“ thematisiert worden, wäre man darum nicht herumgekommen, schon gar nicht, weil die Diagnose, die derartige Auftragsforschung gern durchzieht, die der personellen und im weitesten Sinne ideologischen „Kontinuität“ ist – in diesem Falle zwischen rechtskonservativen und rechtsextremen Milieus in der bayerischen Landespolitik. Weiterhin war Maunz nicht der einzige bayerische CSU-Minister mit Verbindungen zu Gerhard Frey: Auch vom ehemaligen Staatsminister des Innern, Alfred Seidl, wurden solche Beziehungen nach dessen Tod bekannt.[42] Zweifelsohne böten diese Fälle und die sich anschließenden Debatten reichlich Anschauungsmaterial auch für zeithistorische Versuche „uns und anderen die Bundesrepublik zu erklären“,[43] die junge Berliner Republik insbesondere.[44] Und man stelle sich nur die Mordsgaudi vor, die hätte resultieren können, wäre im Jahr der bayerischen Landtagswahl zunächst im Juli durch ein geschichtswissenschaftliches Gutachten die Nähe eines ehemaligen CSU-Ministers zum Rechtsextremismus thematisiert worden und dann im August die sogenannte „Flugblatt-Affäre“ um Hubert Aiwanger losgebrochen.

Handelt es sich hier aber nicht um bloße Mutmaßungen über forschungspolitische Schachzüge vonseiten des Staatsministeriums und des Ministers Eisenreich? Dementgegen sei auf eine Präzedenz von 2017 verwiesen: Damals beauftragte das Land Bayern das IfZ mit einer klassischen ‚Behördenforschung‘ über den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in verschiedenen Landesministerien.[45] Auch das Kultusministerium wird im Rahmen dieses Projektes mittels einer historischen Politikfeldanalyse untersucht,[46] Maunz findet jedoch keine gesonderte Berücksichtigung. Bei der öffentlichen Vorstellung des Forschungsprojekts wurden Rückfragen hierzu, so kann man der Presseberichterstattung entnehmen, vom damaligen Kultusminister Spaenle (CSU) mehr abgewatscht als beantwortet.[47]

Erinnerungspolitik und public relations

Somit ist das Kurzgutachten zu Palandt und Schönfelder auch ein Stück Erinnerungspolitik par excellence: Schließlich lässt sich historische Auftragsforschung am einfachsten über den Zuschnitt des Forschungsauftrages beeinflussen, vor allem darüber, was ausgespart wird. In diesem Fall sparte der Zuschnitt des Forschungsauftrages eine für die auftraggebende Institution unliebsame Figur aus. Die letztlich präsentierte Forschung bot nichts Neues und war daher auch nicht mehr in der Lage, jemandem ernstlich auf die Füße zu treten. Die Veröffentlichung des Gutachtens stand insofern ebenso mit ‚Forschungsergebnissen‘ wie mit landespolitischen public relations in Zusammenhang: Von Ministeriumsseite hörte man im Zuge der Publikation den üblichen, auf Phrasen der Beteuerung getrimmten Sermon: „Antisemitismus und Rechtsextremismus haben in unserer Gesellschaft keinen Platz“; Juristinnen und Juristen hätten sich „mit den gravierenden Folgen von rechtsstaatlichen und ethischen Maßstäben losgelösten juristischen Handelns auseinanderzusetzen“.[48] Zudem konnte die rechtswissenschaftliche Sparte des Verlages C.H.Beck das Gutachten für die eigene Außendarstellung nutzen. Klaus Weber, Mitglied der Geschäftsleitung, resümierte: „Die neuen Forschungsergebnisse haben das Bild von Palandt und Schönfelder nochmals abgerundet. Sie bestätigen uns, 2021 die richtige Entscheidung getroffen zu haben.“[49] Vor dem Hintergrund, dass die Geschäftsleitung der Verlagssparte sich über viele Jahre hinweg konsequent dagegen stellte, hinsichtlich der Benennung der Werke Maßnahmen zu ergreifen,[50] muss man der Gewieftheit einer solchen Aussage beinahe Respekt zollen.

  1. Pressemitteilung v. 27.07.2021, „C.H.BECK wird Werke aus seinem Verlagsprogramm umbenennen“, https://presse.beck.de/pressemitteilungen-archiv/2021/chbeck-wird-werke-aus-seinem-verlagsprogramm-umbenennen/ (zuletzt aufgerufen am 30.11.2023)
  2. „Palandt umbenannt: Initiative für eine kritische Erinnerungskultur in der Rechtswissenschaft”, https://palandtumbenennen.de/ (zuletzt aufgerufen am 30.11.2023)
  3. Pressemitteilung v. 06.05.2021, „Untersuchung der Namensgeber der juristischen Standardwerke ‚Palandt‘ und ‚Schönfelder‘ in der NS-Zeit“, https://www.justiz.bayern.de/presse-und-medien/pressemitteilungen/archiv/2021/60.php (zuletzt aufgerufen am 30.11.2023)
  4. Michael Stolleis, Vergessliche Reiniger. Den Palandt umbenennen?, in: Frankfurter allgemeine Zeitung, 18. April 2018, N3.
  5. Susanne Karoline Paas, Mehr Erinnerungspolitik wagen. Der Fall Ernst v. Hippel, in: Rechtswissenschaft 14 (2023), 1, S. 44-68; s. auch dies., Wer waren eigentlich...? Von Hippel und Rehborn, in: Ad legendum 19 (2022), 2, S. 149–157. Wie dagegen beispielsweise Wolfgang Hefermehl weiter namensgebend sein kann, dessen „aktive Rolle“ im Nationalsozialismus neben einer Mitgliedschaft in der Waffen-SS in der Begleitung der Arisierungsgesetzgebung bestand, ist umgekehrt eztwa nicht nachvollziehbar. Siehe zu Hefermehl Stephan Lindner, ‚Sich eingereiht‘? Wolfgang Hefermehl und der Nationalsozialismus, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 17 (2016), 1, S. 326–363.
  6. Paas, Erinnerungspolitik, S. 48.
  7. Kreller, Lutz, Gutachten über die Juristen Otto Palandt und Heinrich Schönfelder, https://www.ifz-muenchen.de/fileadmin/user_upload/Presse/Downloads/IfZ_Gutachten_Palandt-Schoenfelder_Zusammenfassung.pdf (zuletzt aufgerufen am 30.11.2023)
  8. Pressemitteilung v. 23.06.2023, „Braune Paten? Otto Palandt, Heinrich Schönfelder und der Nationalsozialismus“, https://www.justiz.bayern.de/presse-und-medien/pressemitteilungen/archiv/2023/114.php (zuletzt aufgerufen am 30.11.2023)
  9. Dies geht aus dem Profil des Bearbeiters Lutz Kreller hervor, siehe https://www.ifz-muenchen.de/das-institut/mitarbeiterinnen/ea/mitarbeiter/lutz-kreller (zuletzt aufgerufen am 30.11.2023)
  10. Kreller, Gutachten, S. 2.
  11. Kreller, Gutachten, S. 4.
  12. Kreller, Gutachten, S. 5.
  13. Kreller, Gutachten, S. 6.
  14. Kreller, Gutachten, S. 6.
  15. Kreller, Gutachten, S. 4.
  16. Kreller, Gutachten, S. 6.
  17. Pressemitteilung v. 29.06.2023, Institut für Zeitgeschichte legt Studie über Otto Palandt und Heinrich Schönfelder vor, https://www.justiz.bayern.de/presse-und-medien/pressemitteilungen/archiv/2023/117.php (zuletzt aufgerufen am 30.11.2023)
  18. Pressemitteilung v. 06.05.2021, Untersuchung der Namensgeber der juristischen Standardwerke ‚Palandt‘ und ‚Schönfelder‘ in der NS-Zeit, https://www.justiz.bayern.de/presse-und-medien/pressemitteilungen/archiv/2021/60.php (zuletzt aufgerufen am 30.11.2023)
  19. Hans Wrobel, Heinrich Schönfelder. Sammler deutscher Gesetze 1902–1944. München 1997.
  20. Jens Gal, Die Spur der Backsteine, in: Myops 7 (2013), 19, S. 57–69.
  21. Hans Wrobel, Otto Palandt zum Gedächtnis. 1.5.1877-3.12.1951, in: Kritische Justiz 15 (1982), 1, S. 1–17.
  22. Klaus Slapnicar, Der Wilke, der später Palandt hieß, in: Neue Juristische Wochenschrift 2000, S. 1692-1699.
  23. Elena Barnert, Von Station zu Station. Anm zu Otto Palandt (umstr) uam aAnl seines 130. Gebtags (mwN), in: Myops. 1 (2007), 1, S. 56–68.
  24. Martin Würfel, Das Reichsjustizprüfungsamt. Tübingen 2019.
  25. Tina Knuth, Palandt & Co – Zeitgeschichtliche Miniatur über einen bekannten Fremden und das Entstehen des ‚Beck’schen Kurzkommentars Nr. 7‘, in: René Leipold et al. (Hgg.), In principio erat codex. Am Anfang waren das Buch und das Gesetz, Wiesbaden 2021, S. 523-552.
  26. „Zur Person Otto Palandt“, https://rsw.beck.de/buecher/grueneberg/fr%C3%BChere-auflagen/otto-palandt (zuletzt aufgerufen am 30.11.2023)
  27. So aber zu Palandt Christian Busse, Rechtspolitische Zeitschriftenumschau 2/2022, in: Recht und Politik 58(2) (2022), S. 234–239, hier S. 238. Der Autor hat recht, wenn er sagt, eine „Biographie zu Palandt“ liege noch nicht vor – allerdings nur, wenn damit eine Biographie in monografischer Form gemeint ist. Vor dem Hintergrund der bisherigen Veröffentlichungen wäre eines solche Monografie zudem keinesfalls „Grundlagenforschung“.
  28. Stanislav Andreski, Social Sciences as sorcery, London 1972, S. 11.
  29. Christian Mentel / Niels Weise, Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus. Stand und Perspektiven der Forschung, München u. Berlin, S. 15 ff.
  30. Christian Mentel, Der kritische Blick auf sich selbst. Zur Verantwortung der historiografischen Zunft in der Behördenforschung, in: Marcus Böick / Marcel Schmeer (Hgg.), Im Kreuzfeuer der Kritik. Umstrittene Organisationen im 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main / New York 2020, S. 139-161, hier S. 140.
  31. Benjamin Lahusen, Furchtlose Juristen. Zur jüngeren Vergangenheitspolitik des Bundesjustizministeriums, in: Myops 12 (2018), 32, S. 41–50, hier S. 42.
  32. Bei Interesse handelt es sich um die Bestände mit folgenden Signaturen: StA München, NL-MAU; BHStA, Nachlass Maunz, Theodor.
  33. https://www.justiz.bayern.de/presse-und-medien/pressemitteilungen/archiv/2021/121.php
  34. Michael Stolleis, Ein Gang ins Stadtarchiv München, in: Kritische Justiz 47 (2014), 4, S. 358–361, hier S. 358.
  35. Ausnahme ist hier eine digital zugängliche Masterarbeit von Anne-Kristin Hübner aus dem Jahr 2015, die jedoch hauptsächlich die Jahre zwischen 1945 und 1964 und damit nur einen biografischen Ausschnitt behandelt, s. Anne-Kristin Hübner, Theodor Maunz. Brüche und Kontinuitäten einer Biographie (1945–1964), https://epub.ub.uni-muenchen.de/27231/1/Anne-Kristin_Huebner_Theodor_Maunz.pdf (zuletzt aufgerufen am 30.11.2023)
  36. Hasso Suliak, „Dem Nationalsozialismus rückhaltlos gedient“ https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/palandt-schoenfelder-nationalsozialismus-beck-verlag-ifz-studie-eisenreich/ (zuletzt aufgerufen am 30.11.2023)
  37. Statt aller hierzu der maßgebliche Aufsatz von Michael Stolleis, Theodor Maunz. Ein Staatsrechtslehrerleben, in: ders., Recht im Unrecht. Studien zur Rechtsgeschichte des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1994, S. 306–318.
  38. Konrad Redeker, Bewältigung der Vergangenheit als Aufgabe der Justiz, in: Neue Juristische Wochenschrift 1964, S. 1097–1100, hier S. 1098.
  39. Hierzu bereits früh die Dokumentation von Haney, Gerhard. Maunz im Dienste des Faschismus und der CSU, Jena 1964.
  40. Stolleis, Theodor Maunz, S. 309.
  41. Gerhard Mauz, ‚Ich bin nicht nur wütend‘, in: DER SPIEGEL v. 17.10.1993.
  42. Stolleis, Theodor Maunz, S. 312.
  43. Peter Brückner, Versuch, uns und anderen die Bundesrepublik zu erklären, Berlin 1978.
  44. Exemplarisch hierzu Florian Finkbeiner, Nationale Hoffnung und konservative Enttäuschung. Zum Wandel des konservativen Nationenverständnisses nach der deutschen Vereinigung, Bielefeld 2020.
  45. Zum Vorhaben ausführlich Bernhard Gotto, Demokratische Kultur in NS-Vergangenheit in Bayern, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 65 (2017), 2, S. 273–284. Die Förderung des Projektes lief in diesem Jahr aus. Die Teilprojekte werden im Rahmen einer eigenen Reihe bei De Gruyter Oldenbourg veröffentlicht.
  46. Siehe hierzu die Darstellung des Teilprojektes „Tradition und Demokratie. Das bayerische Kultusministerium, seine Schulpolitik und die NS-Vergangenheit 1945–1975“, https://www.ifz-muenchen.de/forschung/ea/forschung/tradition-und-demokratie-das-bayerische-kultusministerium-seine-schulpolitik-und-die-ns-vergangenheit-1945-1975 (zuletzt aufgerufen am 30.11.2023)
  47. Florian Sendtner, Theodor Maunz, Alfred Seidl und Co., in: Bayerische Staatszeitung v. 10.03.2017, https://www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/politik/detailansicht-politik/artikel/theodor-maunz-alfred-seidl-und-co.html#topPosition (zuletzt aufgerufen am 30.11.2023). Auf derlei Rückfragen reagierte auch der Direktor des IfZ, Andreas Wirsching. Er wird im Artikel mit der Äußerung zitiert, eine Biografie über Theodor Maunz sei in Arbeit und beinahe fertiggestellt, daher wolle man keine „Dublette“ produzieren. Die im Rahmen des vorliegenden Beitrags angestellte Suche nach dieser Forschung blieb ergebnislos.
  48. Pressemitteilung v. 29.06.2023, Institut für Zeitgeschichte legt Studie über Otto Palandt und Heinrich Schönfelder vor, https://www.justiz.bayern.de/presse-und-medien/pressemitteilungen/archiv/2023/117.php (zuletzt aufgerufen am 30.11.2023)
  49. Pressemitteilung v. 29.06.2023, Institut für Zeitgeschichte legt Studie über Otto Palandt und Heinrich Schönfelder vor, https://www.justiz.bayern.de/presse-und-medien/pressemitteilungen/archiv/2023/117.php (zuletzt aufgerufen am 30.11.2023)
  50. Hierzu ausführlich Janwillem van de Loo, Palandt umbenannt. Das Ende der Geschichte?, in: Anwaltsblatt Online 2021, https://anwaltsblatt.anwaltverein.de/files/anwaltsblatt.de/anwaltsblatt-online/2021-338.pdf (zuletzt aufgerufen am 30.11.2023)

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Hannah Schmidt-Ott.

Kategorien: Geschichte Politik Recht Wissenschaft

Clemens Boehncke

Clemens Boehncke M. A. ist Wissenschaftler am Hamburger Institut für Sozialforschung. Forschungsinteressen liegen im Bereich der Historischen Soziologie und Rechtswissenschaftsgeschichte

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