Nico Wettmann, Nicole Zillien | Essay |

Von Sleep Tracking bis Schlafwandeln

Wissenssoziologische Überlegungen zum Schlaf

Fast jeder Schlafratgeber behauptet, wir verbrächten etwa ein Drittel unseres Lebens im Schlaf – und damit auch mit hoher Wahrscheinlichkeit im Bett. Beim sogenannten bed rotting wird ungleich mehr Zeit im Bett, aber mitnichten im Schlaf verbracht. Bed rotting bezeichnet ein exzessives Verweilen im Bett, das der stundenlangen Handy- oder Fernsehnutzung sowie dem Essen von süßen und salzigen Snacks dient. Rund um das von TikTok bekannte Rumhängen im Bett gibt es eine rege Diskussion, ob dieses nun eher Ausdruck von Self Care oder von depressiven Schüben sei – und inwiefern es Schlafstörungen befeuern könne. Im Zuge längerer Tagesaufenthalte im Bett verliert das Schlafzimmer fraglos seine Sonderstellung als Rückzugs- und Erholungsort und der Schlafrhythmus leidet, was die Entstehung von Schlafstörungen begünstigen soll. Diese – davon zeugen nicht zuletzt die hohen Verkaufszahlen entsprechender Ratgeber – gilt es jedenfalls zu vermeiden.

Auch Praktiken der digitalen Schlafvermessung, die spätestens mit der Verbreitung von Smartwatches zu einem Massenphänomen wurden, können Maßnahmen gegen Schlafstörungen sein. Obwohl sie vielfach Anwendung finden, haben diese technologischen Alltagspraktiken eine meist eher negative Konnotation: In medialen Darstellungen wie auch in soziologischen Zeitdiagnosen gilt das Tracking des eigenen Körpers vielfach als Exempel einer zeitgenössischen neoliberalen Selbstüberwachung.[1] Der Einsatz digitaler Trackingtools steht für Disziplinierungs- , Rationalisierungs- und Optimierungstendenzen, für ein gegenwartstypisches Streben nach Perfektion und eine umfassende Wachstums- und Wettbewerbslogik. All dies droht mit der digitalen Vermessung des Schlafs in die letzten Refugien der Privatheit einzudringen – und so Schlafprobleme eher auszulösen als zu lösen.

Zur Fragilität des Schlafwissens

Allgemein ist eine Schlafstörung definiert „als das subjektive Leiden unter Schwierigkeiten beim Einschlafen, der Schlafdauer, der Schlaftiefe oder der Qualität des Schlafes“.[2] Menschen leiden an Schlafstörungen, wenn sie dies subjektiv so empfinden – und das ist zunehmend der Fall: So ist in der Soziologie die Rede von einer „übermüdete[n] Gesellschaft“[3] oder einer „schlaflose[n] Gesellschaft“,[4] der Schlaf stehe „in heutigen Zeiten auf wackeligen Beinen“.[5] Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) kritisiert eine „übermäßige Techniknutzung“ sowie einen „zeitgenössische(n) Selbstoptimierungsanspruch“ und fordert eine Rückbesinnung „auf den natürlichen Prozess des Schlafens“.[6] Allerdings herrscht Uneinigkeit darüber, was überhaupt als ein ‚natürlicher‘ beziehungsweise ‚normaler‘ Schlaf anzusehen sei. Da der Schlaf immer schon in soziale und kulturelle Kontexte eingebettet war, können wir seinen ‚Naturzustand‘ gar nicht so einfach benennen. Auch eine Schlafstörung lässt sich schwer objektiv feststellen, da sich die dafür nötigen Untersuchungen, anders als beispielsweise jene von Herzstörungen oder Magenproblemen, nicht auf ein einzelnes Organ beziehen.[7] 

„Even for specialists in sleep medicine, discerning one sleep disorder from another is not straightforward, and misdiagnoses occur, in no small part because of the negativity of sleep, the understanding of it as not waking, not coma, not death.“[8] 

Selbst die Beantwortung vorderhand einfacher Fragen – wie beispielsweise jene, wann der Schlafbedarf erfüllt ist oder weshalb Menschen überhaupt schlafen – fällt der Schlafforschung vergleichsweise schwer: „Sleep medicine, especially, is infused with doubt.“[9] Hinzu kommt, dass der Gestaltung des eigenen Schlafs von vornherein Grenzen gesetzt sind: 

„Wir können zwar allerhand Vorkehrungen treffen, dass der Schlaf kommen möge, dass er ausreichend lang und tief genug sei, aber wir können den Schlaf selbst nicht herstellen – er ‚kommt über uns‘ oder ‚wir fallen in ihn hinein‘.“[10] 

Der Schlaf lässt sich also als Grenzphänomen verstehen, das dem Menschen nur teilweise zugänglich ist. Wer mit Schlafstörungen zu kämpfen hat, trifft demnach auf die Ambiguität und Unsicherheit des wissenschaftlichen Wissens sowie auf einen womöglich von vornherein recht schlafunwilligen Körper.[11]

Wir behaupten nun, dass sich der Fragilität und Widersprüchlichkeit des wissenschaftlichen Wissens über den Schlaf mit dem Einsatz digitaler Selbstvermessungstools begegnen lässt. Denn das Sleep Tracking kann die Unsicherheit des wissenschaftlichen Wissens, die dessen pragmatischen Einsatz im Alltag vielfach erschwert, reduzieren. Die digitale Vermessung des eigenen Schlafs, so unsere im Folgenden ausbuchstabierte These, findet deshalb einen so großen Anklang, weil sie auf Wissenschaft und Technologie rekurriert, aber zugleich bei individuellen Schlafproblemen ein pragmatisches Handlungswissen bereitstellt und somit eine Bearbeitung bis Lösung der ausgemachten Schlafprobleme verspricht.

Wissensgenerierung in eigener Sache: Sleep Tracking

Die Erforschung des Schlafs – ein für das Bewusstsein nicht zugänglicher Zustand – war lange Zeit auf Erinnerungen oder Wahrnehmungen gleich nach dem Aufwachen und auf Erzählungen darüber angewiesen. Erst die Laborbeobachtung des „Sleep of Others“[12] machte eine systematisch-naturwissenschaftliche Erforschung möglich, wobei Messinstrumente und Maßzahlen eine entscheidende Rolle spielten.[13] Spätestens ab den 1960er-Jahren entstanden immer mehr Schlaflabore, wobei unter anderem kritisch reflektiert wurde, dass die künstliche Schlafsituation im Labor die Messungen verzerren könnte. Entsprechend gab es schon bald portable Laborinstrumente, wie beispielsweise der im Jahr 1981 präsentierte „Marburger Koffer“, der die heimische Vermessung von Atmung, Sauerstoffsättigung, Schnarchgeräuschen, Pulsfrequenz, Lidöffnung, Körperbewegung und EEG ermöglichte.[14] Mit Beginn des 21. Jahrhunderts entstanden diverse Digitaltechnologien zur Selbstvermessung des Schlafs, die das eigene Schlafverhalten in Form von Zahlen und Kurven sichtbar machen. Hierzu zählen Smartphone-Apps, die durch Bewegungssensoren und Mikrophone den Schlaf aufzeichnen, am Körper getragene Technologien wie Uhren, Arm- oder Stirnbänder sowie zwischen Matratze und Laken positionierte Sensoren, die ähnlich den Labortechnologien Hirnwellen, Körpertemperatur, Muskelspannung und Augenbewegungen aufzeichnen.[15] Diese digitale Erfassung, Verarbeitung und Weitergabe von Körper-, Verhaltens- und Umweltdaten zielt darauf, „to understand the impact our sleep has on how we feel and function, and to use this information to make changes to our behaviour in order to become a better or successful sleeper“.[16]

Während im Schlaflabor der Schlaf der anderen im Fokus steht, richtet die digitale Selbstvermessung den Blick auf den „sleep of ourselves“.[17] Der Blick auf den eigenen Schlaf ist – zumindest in den Fällen einer länger andauernden, systematischen Variante des Self Tracking – ein forscherischer: Im selbstexperimentellen Zuschnitt erzeugt die digitale Selbstvermessung das Setting eines N=1-Experiments.[18] Durch die Quantifizierungs- und Visualisierungsmöglichkeiten der Digitaltechnologien entsteht ein distanzierter und objektivierter Zugang zum eigenen Schlafverhalten. Die Arrangements des Sleep Tracking lassen sich dann als „Experimentalsysteme“[19] in eigener Sache verstehen, die nach und nach ein alltagstaugliches Handlungswissen zur Lösung der ausgemachten Schlafprobleme liefern sollen.[20] Letztere können dabei mit Stresssituationen, Schichtarbeit, Krankheitsbildern wie dem Restless-Legs-Syndrom (RLS) oder auch mit der Geburt schlafunwilligen Nachwuchses zusammenhängen.[21] Im Zuge der fortlaufenden Selbstvermessung werden Störfaktoren identifiziert und diverse Einflussfaktoren auf ihre Wirksamkeit getestet.

In unserer empirischen Analyse verschiedener Sleep-Tracking-Praktiken probierten die beobachteten Personen beispielsweise die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln wie Vitamin D3, regelmäßiges Saunieren, Trainingseinheiten, kaltes Duschen vor dem Schlafengehen oder auch Gestaltungsmaßnahmen im Schlafzimmer (Lüften, Verdunkeln usw.) aus. Dabei evaluierten sie die Maßnahmen in ihrer schlafförderlichen Wirkung Schritt für Schritt entlang der vermessenen Daten, um anhand dessen die eigene Schlafsituation zu modifizieren. Auf diesem Weg gewannen sie ein Gefühl für ihren Schlaf und generierten ein Wissen darüber, wie der eigene Schlaf abläuft, welche Faktoren darauf Einfluss haben und wie sich ein ‚guter‘ Schlaf herstellen lässt. Einige Nutzer:innen erweiterten ihre Self-Tracking-Projekte im Laufe der Zeit über die Vermessung des eigenen Körpers hinaus, indem sie zum Beispiel sukzessiv die Daten von Luftqualitätsmessern im Schlafzimmer, von Ernährungsapps oder Bluttests in die Analysen mit einbezogen.[22]

Dabei waren sie aber weder daten- noch technikhörig, wie es die Forschung zur digitalen Selbstvermessung vielfach behauptet.[23] Im Gegenteil, die Wissensgenerierung in den N=1-Experimenten des Self Tracking ist auf die Subjektivität der Nutzer:innen angewiesen. Das anhaltende Messen, Auswerten und Variieren gleicht einer „tastenden Suche“,[24] die nach und nach Gewissheit bringen soll. In diesem Sinne stellt die digitale Selbstvermessung eine Form der „reflexiven Selbstverwissenschaftlichung“[25] dar: Mithilfe digitaler Selbstvermessungstechnologien gewinnen die beobachteten Personen in Selbstexperimenten Wissen über ihren ganz persönlichen Schlaf, das auf etablierte akademische Wissensbestände rekurriert und sich zugleich aufgrund der fortlaufenden Rückbindung an subjektive Erfahrungen als alltagstauglich erweist. In einem Prozess des fortlaufenden Tinkerns[26] entsteht ein Wissen-im-Werden, das stets vorläufig bleibt, sich aber gleichzeitig durch seine technische Herstellung und Darstellung in Zahlen und Kurven legimitiert. Der dabei gewonnene Objektivitätscharakter macht dieses Wissen zur Grundlage problemlösenden Alltagshandelns.

Diese Deutung setzt den Schlaf allerdings mit seiner technischen Vermessung gleich. Das biomedizinische Framing eines solchen Schlafverständnisses entstammt dem Schlaflabor und ist durch die Verbreitung des Sleep Tracking bis ins Alltagsleben vorgedrungen. Was sich nicht in Daten und Kurven übersetzen lässt, gerät aus dem Blick. Dies trifft in besonderer Weise auf das Schlafwandeln zu, das biomedizinisch schwer zu fassen ist und deshalb im Schlaflabor auch deutlich weniger bearbeitet wird als beispielsweise die Obstruktive Schlafapnoe (OSA). Abschließend zeigen wir auf, inwiefern sich mithilfe digitaler Technologien auch für Schlafwandeln selbstexperimentell alltagstaugliches Wissen zur Problemlösung herstellen lässt.

Schlafwandeln als epistemische Herausforderung

Als liminales Phänomen im Zwischenbereich von Wachsein und Schlafen, von Aktivität und Passivität stellt das Schlafwandeln einen Grenzbereich des eh schon fragilen Schlafzustands dar. Medizinisch wird Schlafwandeln nach internationaler Klassifikation verstanden als „ein Zustand veränderter Bewusstseinslage, in dem Phänomene von Schlaf und Wachsein kombiniert sind“[27] beziehungsweise als ein Dämmerungszustand, der durch „komplexe Verhaltensweisen während eines teilweisen Aufwachens aus dem Tiefschlaf“[28] gekennzeichnet ist. Schlafwandler:innen stehen aus dem Bett auf, bewegen sich durch die Wohnung, fahren Auto, verletzen andere, führen sexuelle Handlungen ohne Zustimmung durch und begehen im Extremfall sogar Tötungsdelikte – all dies geschieht ohne bewusstes Erleben und häufig ohne jede Erinnerung. Das eigene Verhalten wird Schlafwandelnden, wenn überhaupt, erst im Nachhinein bewusst. Die Betroffenen bemerken ihr Schlafwandeln oftmals durch Irritationen beim Aufwachen, weil sie beobachtet wurden oder anhand von materiellen Spuren im Raum und am Körper, die auf das schlafwandlerische Verhalten verweisen.[29] Für das Schlafwandeln gilt – nochmals umfassender als für Schlafstörungen allgemein –, dass es hinsichtlich einer medizinischen Einordnung an diagnostischen Kriterien sowie standardisierten Therapien fehlt.[30] Im Schlaflabor ist das Schlafwandeln schwer zu beobachten, es muss in der Regel provoziert werden, was Diagnosen erschwert.[31] Expert:innen raten zu Sicherheitsmaßnahmen, das heißt Vorkehrungen zu treffen, um Selbst- oder Fremdverletzungen zu vermeiden.[32] Epidemiologisch ist das Schlafwandeln zum einen wegen der diagnostischen Probleme, zum anderen aufgrund der möglicherweise hohen Dunkelziffer schwer zu beschreiben.[33] Insgesamt stellt Schlafwandeln für das biomedizinische Schlafwissen eine epistemische Herausforderung dar.

Auch im Fall des Schlafwandelns könnten, so unsere Vermutung, digitale Medientechnologien problemlösendes Wissen generieren. Denn digitale Dokumentationen des Schlafwandelns erlauben – jenseits von Verhaltensspuren und den Berichten anderer – einen Zugriff auf das eigene Verhalten, das den Betroffenen ansonsten verschlossen ist: Das Audio-, Video- oder grafische Material der neuen Technologien könnte das eigene Verhalten für die Schlafwandelnden retrospektiv erfahrbar machen, wodurch ein der Problemlösung dienliches Wissen sukzessive hergestellt und erprobt werden könnte.

Jedoch bestätigt unsere empirische Analyse von Foren- und Blogbeiträgen sowie Social-Media-Videos zum Schlafwandeln diese Deutung nur bedingt. Die Selbstaufzeichnungen des Schlafwandelns, die uns in den Sozialen Medien begegnet sind, zielen meist auf Unterhaltung: Entsprechende Videoaufzeichnungen zeigen, wie Betroffene schlafwandelnd durchs Zimmer tanzen und lachen, wie sie – teils als Horrorfilm verfremdet – in eine Ecke starren oder Unverständliches murmeln. Jenseits davon finden sich, zumindest online zugänglich, kaum digitale Dokumentationen des Schlafwandelns. In den wenigen Fällen, in denen Schlafwandelnde den eigenen Schlaf digital vermessen, ist der Erkenntnisgewinn vergleichsweise gering. Meist bleibt es bei einer einfachen Beschreibung, wobei beispielsweise nicht erinnerte, aber durch Daten dokumentierte Wachphasen als Hinweis auf nächtliches Schlafwandeln gelten – in der Annahme, dass ein nicht aktiv erinnertes Wachsein auf eine solche Episode hinweisen muss. Die selbsterzeugten Audio-, Video- und Tracking-Daten sollen das eigene Verhalten nachvollziehbar machen, Fremdbeobachtungen plausibilisieren sowie eine klinische Untersuchung im Schlaflabor legitimieren. Aber anders als im Fall der oben skizzierten Schlafprobleme lässt sich hinsichtlich des Schlafwandelns kaum ein auf die Herstellung von Lösungswissen zielender selbstexperimenteller Einsatz von Digitaltechnologien beobachten.

Schlussbemerkung

Die digitale Selbstvermessung des Schlafs dient – wie einleitend ausgeführt – vielfach einer „reflexiven Selbstverwissenschaftlichung“.[34] Zur Bekämpfung der ausgemachten Schlafstörungen quantifizieren die Nutzer:innen ihren eigenen Alltag, um 

„unter Rückgriff auf digitale Medien in selbstexperimentellem Vorgehen ein Wissen herzustellen, das einerseits auf wissenschaftlich-technische Erkenntnisse rekurriert, sich jedoch andererseits durch die fortlaufende Rückbindung an die Intuition und Erfahrung des zugleich forschenden und beforschten Subjekts als alltagstauglich erweist“.[35] 

Im Fall des Schlafwandelns scheint es diese selbstexperimentellen Praktiken jedoch nicht zu geben. Dies dürfte an der Widerspenstigkeit des Schlafwandelns liegen, das analytisch kaum zu fassen und schwierig zu vermessen ist, weshalb es auch bei den derzeit verfügbaren digitalen Selbstvermessungstechnologien keine Rolle spielt.

Zudem gilt das Schlafwandeln in den meisten Fällen gar nicht als subjektives Leiden. Problematisierungen des Schlafwandelns tauchen selten auf und hängen meist mit Veränderungen des Alltags zusammen: Mit der Geburt des ersten Kindes entstehen beispielsweise Ängste, dass dieses beim Schlafwandeln verletzt werden könnte; oder ein Bettpartner beschwert sich, dass er während des Schlafwandelns geschlagen wird. Ein Großteil unserer Interviews und Online-Materialien legt jedoch nahe, dass das Schlafwandeln den meisten Betroffenen über weite Strecken hin gar nicht als Problem erscheint. Sie wachsen in der Regel mit dem Schlafwandeln auf, verfügen über ein biografisch gewachsenes Vertrauen in ihr schlafwandlerisches Verhalten und nehmen die Episoden in erstaunlichem Ausmaß hin. Diese passive Haltung bremst jede forscherische Unternehmung, an deren Beginn – so John Dewey in seiner Theorie der Forschung – ein Problem, eine „unbestimmte Situation“ zu stehen hat, die sich dadurch auszeichnet, „fraglich oder – in Begriffen der Wirklichkeit statt der Möglichkeit ausgedrückt – ungewiss, ungeklärt oder in der Schwebe, verworren zu sein“.[36] Da die Betroffenen ihr Schlafwandeln aber meist nicht als Konstellation verstehen, in der eingeschliffene Routinehandlungen nicht (mehr) weiterhelfen, in der Widersprüche und Widerstände auftreten, unternehmen sie – anders als bei den weiter oben skizzierten Schlafstörungen – kaum selbstexperimentelle Anstrengungen zur sukzessiven Problemlösung. Das Schlafwandeln gilt demnach als Alltagsroutine – oder wie es einer unserer Interviewten formuliert: „Es ist da und damit lebe ich und das macht nicht so einen Riesenunterschied für mich.“

  1. Ulrich Bröckling, Optimierung, Preparedness, Priorisierung. Soziologische Bemerkungen zu drei Schlüsselbegriffen der Gegenwart, in: Soziopolis, 13.4.2020; Nicole Zillien, Self-Tracking as a Dietetic Practice [21.5.2025], in: Historical Social Research 49 (2024), 3, S. 60–76.
  2. Christoph Wewetzer / Andreas Warnke, Schlafstörungen, in: Manfred Gerlach / Claudia Mehler-Wex / Marcel Romanos / Susanne Walitza / Christoph Wewetzer (Hg.), Neuro-/Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter. Grundlagen und Therapie, 4. Aufl., Berlin/Heidelberg 2023, S. 687–701, hier S. 688.
  3. Ingo Fietze, Die übermüdete Gesellschaft. Wie Schlafmangel uns alle krank macht, Reinbek bei Hamburg 2018.
  4. Hans-Günter Weeß, Die schlaflose Gesellschaft. Wege zu erholsamem Schlaf und mehr Leistungsvermögen, Stuttgart 2016.
  5. Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (Hg.), Schlaf – Herausforderungen der Zeit. Hauptprogramm der 32. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, Jena 2024, S. 11.
  6. Ebd.
  7. Hannah Ahlheim, Der Traum vom Schlaf im 20. Jahrhundert. Wissen, Optimierungsphantasien und Widerständigkeit, Göttingen 2018; dies. / Jonathan Holst, „Masters“ of Time. Chrono-Biologizing Sleep in the 20th Century [21.5.2025], in: Historical Social Research 48 (2023), 2, S. 63–90; Tatjana Crönlein, Schlafen können. Schlafstörungen erfolgreich bewältigen. Ein verhaltenstherapeutischer Ratgeber. Mit Online-Material, Weinheim 2018, S. 26; Kenton Kroker, The Sleep of Others. And the Transformations of Sleep Research, Toronto 2007; Matthew J. Wolf-Meyer, The Slumbering Masses. Sleep, Medicine, and Modern American Life, Minneapolis, MN 2012.
  8. Wolf-Meyer, The Slumbering Masses, S. 47.
  9. Ebd., S. 7; siehe auch Albrecht Vorster, Warum wir schlafen. Weshalb unsere Beine manchmal keinen Schlaf finden, auch Schnecken sich schlau schlummern und andere faszinierende Erkenntnisse über den unbekannten Teil unseres Lebens, München 2019; Matthew Walker, Why We Sleep. The New Science of Sleep and Dream, London 2018.
  10. Anke Abraham, Der Körper als heilsam begrenzender Ratgeber? Körperverhältnisse in Zeiten der Entgrenzung, in: Reiner Keller / Michael Meuser (Hg.), Körperwissen, Wiesbaden 2011, S. 31–52, hier S. 35.
  11. Michele Ferrara / Luigi De Gennaro, How Much Sleep Do We Need?, in: Sleep Medicine Reviews 5 (2001), 2, S. 155–179; Steven W. Lockley / Russell G. Foster, Sleep. A Very Short Introduction, Oxford 2012; Timothy H. Monk / David K. Welsh, The Role of Chronobiology in Sleep Disorders Medicine, in: Sleep Medicine Reviews 7 (2003), 6, S. 455–473.
  12. Mit diesem Titel bringt Kenton Kroker (2007) die historische Entwicklung auf den Punkt, dass der Schlaf nicht mehr als rein subjektive und private Erfahrung, sondern als objektivierbares Phänomen betrachtet wird. Durch technologische Erfassung und Vermessung wurde nun auch der Schlaf der anderen der wissenschaftlichen Betrachtung zugänglich.
  13. Ahlheim, Der Traum vom Schlaf; Kroker, The Sleep of Others; Wolf-Meyer, The Slumbering Masses. Siehe hierzu den Beitrag von Darius Zifonun in diesem Dossier.
  14. Lisa-Maria Kluge, Die Entwicklung der Schlafmedizin in Deutschland am Ende des 20. Jahrhunderts. Einfluss des Lebenswerks von Jörg Hermann Peter [21.5.2025], Dissertation, Universität Marburg 2014.
  15. Wanyu Liu / Bernd Ploderer / Thuong Hoang, In Bed with Technology. Challenges and Opportunities for Sleep Tracking, in: Proceedings of the Annual Meeting of the Australian Special Interest Group for Computer Human Interaction, Parkville 2015, S. 142–151; Simon J. Williams / Catherine Coveney / Robert Meadows, ‚M-apping‘ Sleep? Trends and Transformations in the Digital Age, in: Sociology of Health & Illness 37 (2015), 7, S. 1039–1054; vgl. z.B. Stefanie Duttweiler / Robert Gugutzer / Jan-Hendrik Passoth / Jörg Strübing (Hg.), Leben nach Zahlen. Self-Tracking als Optimierungsprojekt?, Bielefeld 2016; Deborah Lupton, The Quantified Self. A Sociology of Self-Tracking, Cambridge, MA 2016; Thorben Mämecke / Jan-Hendrik Passoth / Josef Wehner (Hg.), Bedeutende Daten. Modelle, Verfahren und Praxis der Vermessung und Verdatung im Netz, Wiesbaden 2018; Stefan Selke (Hg.), Lifelogging. Digitale Selbstvermessung und Lebensprotokollierung zwischen disruptiver Technologie und kulturellem Wandel, Wiesbaden 2016; Williams/Coveney/Meadows, ‚M-apping‘ Sleep?; Stefan Meißner, Der vermessene Schlaf. Quantified Self in der Spannung von Disziplinierung und Emanzipation, in: Duttweiler et al. (Hg.), Leben nach Zahlen, S. 325–346; Ben Lyall / Bjørn Nansen, Redefining Rest. A Taxonomy of Contemporary Digital Sleep Technologies [21.5.2025], in: Historical Social Research 48 (2023), 2, S. 135–156; Christine Hine / Robert Meadows / Gary Pritchard, The Interactional Uses of Evidenced Sleep. An Exploration of Online Depictions of Sleep Tracking Data [21.52025], in: Historical Social Research 48 (2023), 2, S. 194–214.
  16. Williams/Coveney/Meadows, ‚M-apping‘ Sleep?, S. 1047.
  17. Ebd., S. 1040.
  18. Dana Greenfield, Deep Data. Notes on the N of 1, in: Dawn Nafus (Hg.), Quantified. Biosensing Technologies in Everyday Life, Cambridge, MA 2016, S. 123–146.
  19. Hans‑Jörg Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas, dt. Bearb. basierend auf einer Übers. von Gerhard Herrgott, Frankfurt am Main 2001.
  20. Nicole Zillien / Nico Wettmann / Frederik Peper, Sleep Experiments. Knowledge Production through Self-Tracking [21.52025], in: Historical Social Research 48 (2023), 2, S. 157–175.
  21. Ebd.; Nico Wettmann / Frederik Peper, Schlaf als Synthese. Soziotechnische und temporale (Re-)Figurationen digitaler Schlafvermessung, in: Thorsten Benkel / Matthias Meitzler (Hg.), Mythenjagd. Soziologie mit Norbert Elias, Weilerswist 2023, S. 220–240; Nico Wettmann, Sleep Tracking. Zur Genese des ‚guten‘ Schlafs (im Erscheinen).
  22. Zillien/Wettmann/Peper, Sleep Experiments.
  23. Diletta De Cristofaro / Simona Chiodo, Quantified Sleep. Self-Tracking Technologies and the Reshaping of 21st-Century Subjectivity [21.5.2025], in: Historical Social Research 48 (2023), 2, S. 176–193; Ben Lyall, The Ambivalent Assemblages of Sleep Optimization, in: Review of Communication 21 (2021), 2, S. 144–160; Williams/Coveney/Meadows, ‚M-apping‘ Sleep?
  24. Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge, S. 77.
  25. Nicole Zillien, Ludwik Fleck und die „Verehrung der Zahl“. Beitrag zu einer Soziologie der Quantifizierung, in: Martin Endreß / Klaus Lichtblau / Stephan Moebius (Hg.), Zyklos 3. Jahrbuch für Theorie und Geschichte der Soziologie, Wiesbaden 2017, S. 15–51; Nicole Zillien / Gerrit Fröhlich / Mareike Dötsch, Zahlenkörper. Digitale Selbstvermessung als Verdinglichung des Körpers, in: Kornelia Hahn / Martin Stempfhuber (Hg.), Präsenzen 2.0. Körperinszenierung in Medienkulturen, Wiesbaden 2015, S. 77–94; Nicole Zillien / Gerrit Fröhlich / Daniel Kofahl, Ernährungsbezogene Selbstvermessung. Von der Diätetik bis zum Diet-Tracking, in: Stefanie Duttweiler et al. (Hg.), Leben nach Zahlen, S. 123–140.
  26. Karin Knorr Cetina, Die Fabrikation von Erkenntnis. Zur Anthropologie der Wissenschaft [1984], Frankfurt am Main 2012, S. 64 ff.
  27. ICD-10-GM Version 2025, Code: F51.3 – Schlafwandeln [Somnambulismus] [21.5.2025].
  28. ICD-11-MMS 2024 (Entwurfsfassung), Code 7B00.1 – Schlafwandeln [21.5.2025].
  29. Svenja Reinhardt, Schlafwandeln. Ethnografie an den Grenzen der Erfahrbarkeit, in: Angelika Poferl / Norbert Schröer / Ronald Hitzler / Simone Kreher (Hg.), Leib-Körper-Ethnographie. Erkundungen zum Leib-Sein und Körper-Haben, Essen 2023, S. 395–405; Nico Wettmann, Extreme Passivität des Körpers. Ein soziologischer Blick auf Schlafwandeln, in: Thorsten Benkel / Robert Gugutzer (Hg.), Extreme Körper. Eine körpersoziologische Zeitdiagnose, Bielefeld (im Erscheinen).
  30. Tatjana Crönlein / Wolfgang Galetke / Peter Young, Schlafmedizin 1x1. Praxisorientiertes Basiswissen, Berlin 2020, S. 147; Yannis Idir / Delphine Oudiette / Isabelle Arnulf, Sleepwalking, Sleep Terrors, Sexsomnia and other Disorders of Arousal. The Old and the New, in: Journal of Sleep Research 31 (2022), 4, S. 1–15; Jürgen Hoppe / Michael Schredl, Schlafwandeln. Wie kann ich damit umgehen? [21.5.2025], S. 3; Michael Saletu / Gerda M. Saletu-Zyhlarz, Schlafwandeln, Schlaftrunkenheit und Nachtschreck. Die klassischen NREM-Parasomnien und ihre Differenzialdiagnose im Erwachsenenalter, in: Somnologie 19 (2015), 4, S. 226–232, hier S. 227 ff.
  31. Geert Mayer, Schlafwandeln, in: Helga Peter / Thomas Penzel / Jörg Hermann Peter (Hg.), Enzyklopädie der Schlafmedizin, Heidelberg 2007, S. 1140–1143, hier S. 1141.
  32. Idir/Oudiette/Arnulf, Sleepwalking, Sleep Terrors, Sexsomnia and Other Disorders of Arousal, S. 12.
  33. Helen M. Tallman / Mark Kohler, Prevalence of Sleepwalking. A Systematic Review and Meta-Analysis, in: Plos One 11 (2016), 11.
  34. Nicole Zillien, Digitaler Alltag als Experiment. Empirie und Epistemologie der reflexiven Selbstverwissenschaftlichung, Bielefeld 2020.
  35. Ebd., S. 9.
  36. John Dewey, Logik. Die Theorie der Forschung [1938], übers. von Martin Suhr, Frankfurt am Main 2016, hier S. 132.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Henriette Liebhart.

Kategorien: Digitalisierung Gesundheit / Medizin Körper Medien Methoden / Forschung Technik Wissenschaft

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Nico Wettmann

Nico Wettmann, Dr. Phil, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Koblenz. Seine Forschungsinteressen liegen in der Medien-, Körper- und Wissenssoziologie sowie den Science & Technology Studies.

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Nicole Zillien

Nicole Zillien, Prof. Dr., ist Professorin für Allgemeine Soziologie an der Universität Koblenz. Aktuell forscht sie unter anderem zur digitalen Selbstvermessung, zu Geschlechterdifferenzen der Elternschaft und zur digitalisierten Partnerschaftsgewalt.

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