Nina Leonhard | Interview |

Nachgefragt bei Nina Leonhard

Fünf Fragen zur Studie „Armee in der Demokratie - Ausmaß, Ursachen und Wirkungen von politischem Extremismus in der Bundeswehr“

Sie schreiben, dass Ihre zwischen 2021 und 2022 durchgeführte Studie zur Armee in der Demokratie „erstmalige und umfassende Einblicke in die politischen Einstellungen der Angehörigen der Bundeswehr – einschließlich extremistischer Positionen“ (S. 152) ermöglichte. Haben Sie bei Ihrer Forschung Widerstände vonseiten der Bundeswehrangehörigen erfahren?

Nein, zumindest nicht direkt. Die Teilnahme an den von meinen Kollegen Markus Steinbrecher, Heiko Biehl und mir durchgeführten Befragungen war für alle Beteiligten erstens anonym und zweitens freiwillig. Wer nicht wollte, musste also nicht mitmachen. Was wir im Vorfeld, bei den Pretests der Fragebögen, und dann vor allem im Rahmen der Gruppendiskussionen beobachten konnten, war allerdings eine gewisse Skepsis hinsichtlich der Aussagekraft einer solchen Studie. Eine Reihe von Soldatinnen und Soldaten bezweifelte, dass der Fragebogen wahrheitsgemäß beantwortet würde. Das Problem der sozialen Erwünschtheit, das sich bei Untersuchungen zu einem sensiblen Thema wie diesem in besonderem Maße stellt, wurde also auch von den Befragten selbst reflektiert. Wir sind diesem Problem begegnet, indem wir unterschiedliche methodische Ansätze und Auswerteverfahren kombiniert haben. Diese Vorgehensweise soll dazu beitragen, die Robustheit und Belastbarkeit unserer Befunde zu gewährleisten.

In Ihrer Studie haben Sie das Ausmaß, die Ursachen und die Wirkungen von politischem Extremismus in der Bundeswehr untersucht. Mit welcher Definition von politischem Extremismus haben Sie gearbeitet? Und wie haben Sie versucht, dem auf die Spur zu kommen?

Für die Erfassung von politischem Extremismus haben wir uns an die Definition des Verfassungsschutzes angelehnt. Demnach werden unter Extremismus alle Bestrebungen gefasst, die auf die Beseitigung von Elementen und Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland abzielen. Solche Bestrebungen umfassen konkrete Handlungen, die mit bestimmten Haltungen einhergehen – im Fall des Rechtsextremismus beispielsweise mit Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus oder Sozialdarwinismus.

Im Rahmen der Studie haben wir politische Haltungen untersucht, und zwar auf dreierlei Weise: Der Kern der Studie ist eine bundeswehrinterne Befragung. Dafür haben wir mehr als 20.000 Soldatinnen und Soldaten aller Dienstgradgruppen und Bereiche sowie zivile Angehörige der Bundeswehr kontaktiert und eingeladen, einen Fragebogen zu beantworten. Da es keine anderen Studien dieser Art für die Bundeswehr gibt, haben wir aus Gründen der Vergleichbarkeit zweitens eine repräsentative Bevölkerungsbefragung mit denselben Fragen konzipiert, die das Meinungsforschungsinstitut Ipsos® realisiert hat. In beiden Umfragen wurden etablierte Skalen verwendet, die auch in anderen Studien zur Messung von Rechtsextremismus Anwendung finden – zum Beispiel in den Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung und in den Leipziger Autoritarismus-Studien. Darüber hinaus umfassen die Fragebögen Haltungen zu Politikzielen der Neuen Rechten, zu Verschwörungstheorien und zu Thesen der Reichsbürger.

Zur Ergänzung und Kontrastierung der quantitativen Befunde haben wir drittens 18 Gruppendiskussionen mit Soldatinnen und Soldaten an unterschiedlichen Bundeswehr-Standorten durchgeführt, bei denen das Verhältnis von Soldatenberuf und Politik sowie der Umgang mit besonderen Vorkommnissen in der Bundeswehr im Zentrum standen. Im Fokus standen hier Angehörige der Dienstgradgruppen der Mannschaften und Unteroffiziere, da das Gros der gemeldeten Vorfälle diese Gruppen betrifft.

Im Jahr 2020 wurden auf dem Grundstück eines Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) ein Waffen- und Munitionsversteck sowie mehrere rechtsextreme Schriften entdeckt. Die von Ihnen und Ihren Kollegen durchgeführte Studie wurde vom Bundesministerium der Verteidigung als Reaktion auf diesen Vorfall und weitere rechtsextreme Vorkommnisse innerhalb der Bundeswehr in Auftrag gegeben. Konnten Sie in Ihrer Untersuchung eine erhöhte Neigung von Bundeswehrangehörigen zum politischen Extremismus feststellen?

Die quantitativen Analysen zeigen erstens, dass es allgemein weniger Unterstützung für rechtsextreme Haltungen in der Bundeswehr gibt als in der Gesamtbevölkerung. Im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt weisen die Soldatinnen und Soldaten gleich welcher Dienstgradgruppe ebenso wie die zivilen Beschäftigten der Bundeswehr ein stärkeres Interesse an Politik, ein höheres Vertrauen in staatliche Institutionen und eine größere Demokratiezufriedenheit auf.

Zweitens konnten wir feststellen, dass rechtsextreme Einstellungen bei Soldatinnen und Soldaten vor allem mit zwei Faktoren einhergehen: Zum einen mit einer Enttäuschung über den Politikbetrieb und einer Distanzierung vom politischen System. Das gilt besonders dann, wenn das Vertrauen in die Akteure, Institutionen und Prozesse des politischen Systems gering ist oder wenn subjektiv Meinungs- und Denkverbote im öffentlichen Raum wahrgenommen werden. Zum anderen gibt es einen Zusammenhang zwischen der Zustimmung zu rechtsextremen Positionen und einem elitären soldatischen Selbstbild sowie einer positiven Haltung zur Wehrmacht. Keinen signifikanten Einfluss auf rechtsextremistische Positionen haben demgegenüber die soldatische Unzufriedenheit mit dienstlichen Aspekten in der Bundeswehr und auch nicht die unter Soldatinnen und Soldaten weit verbreitete Wahrnehmung eines unzureichenden Rückhaltes der Armee in Politik und Gesellschaft.

Drittens ist mit Blick auf die Bevölkerungsbefragung zu erkennen, dass Personen mit rechtsextremen Einstellungen ein erhöhtes Interesse an einer Tätigkeit in der Bundeswehr haben, was die Relevanz von Sicherheitsüberprüfungen und anderen Abwehrmaßnahmen vor Eintritt in die Streitkräfte unterstreicht.

In Ihrer Analyse zur Wahrnehmung von extremistischen Fällen in der Bundeswehr stellen Sie fest, dass mehr als ein Viertel der Soldatinnen und Soldaten intern „mindestens ein Vorkommnis mit Bezug zu politischem Extremismus innerhalb der letzten 12 Monate erlebt“ hat (S. 9). Wie geht die Bundeswehr mit solchen Vorfällen um? Wie reagiert die Bundeswehr auf die öffentliche Skandalisierung von politischem Extremismus?

Zunächst ist festzuhalten, dass Erfahrungen mit extremistischen Vorkommnissen allgemein eher unter den unteren Dienstgradgruppen, vor allem bei den Mannschaften und Unteroffizieren ohne Portepee, verbreitet sind, die zugleich jünger und formal weniger gebildet sind als etwa Offiziere. Offiziell gibt es genaue Vorgaben, was bei solchen Vorkommnissen zu tun ist, also wann etwas von wem wie zu melden ist. Die Befunde der quantitativen Befragungen wie auch der Gruppendiskussionen zeigen allerdings, dass nicht alle Vorfälle an die Vorgesetzten gemeldet werden und zu formalen Untersuchungsverfahren führen. Bei Fällen, die beispielsweise als weniger gravierend eingeschätzt oder als Konflikt unter Gleichrangigen gedeutet werden, versuchen die Soldatinnen und Soldaten eher, eine Lösung unterhalb der Schwelle einer formalen Meldung zu finden.

Organisationssoziologisch kann dies kaum überraschen: Würde die formale Regel ‚Jeder Vorfall muss gemeldet werden‘ eins zu eins umgesetzt, würde der kameradschaftliche Zusammenhalt, der für den Alltag in der Truppe wichtig und militärisch explizit gewollt ist, empfindlich gestört. So gesehen greift hier das militärische Prinzip der Kameradschaft. Wenn man sich indes in der Vorgesetztenrolle befindet, ist ein Eingreifen beziehungsweise Melden im Fall der Wahrnehmung eines Vorfalls wahrscheinlicher, weil dann das militärische Prinzip der Führungsverantwortung zum Tragen kommt. Es gibt also verschiedene Reaktionsweisen, die jeweils für sich genommen als legitim angesehen werden. Nicht zuletzt zeigt sich hier der Handlungsspielraum, der auf den unteren militärischen Ebenen existiert und – soweit für uns ersichtlich – in manchen Fällen zur konstruktiven Lösung von Konflikten führt, in anderen Fällen hingegen zur Verschleierung von Fehlverhalten in der Truppe beiträgt.

Angesichts der von Ihnen angesprochenen öffentlichen Skandalisierung extremistischer Vorfälle hat sich aus Sicht der Streitkräfteangehörigen die Tendenz, „von oben“ durchzugreifen, in den letzten Jahren merklich verstärkt. Anstatt das übliche Verfahren durchzuführen und die Ergebnisse der entsprechenden Ermittlungen abzuwarten, tendiere die politische Leitung mittlerweile zu öffentlichkeitswirksamen Entschlüssen und Maßnahmen, um nach außen ihre Handlungsfähigkeit und -willigkeit zu dokumentieren. Die Soldatinnen und Soldaten bemängeln daher eine medial gestützte Vorverurteilung der Truppe, der die politische Leitung nicht ausreichend entgegengetreten sei.

Von außen betrachtet lassen sich in jedem Fall seitens des Bundesverteidigungsministeriums Bemühungen um mehr Transparenz konstatieren. Dafür steht nicht nur die Beauftragung unserer Studie durch das Ministerium, sondern insbesondere die nach den Vorfällen beim KSK eingerichtete Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle (KfE) in der Bundeswehr, die seit 2020 jährlich einen Bericht mit Zahlen und Informationen zu laufenden Verfahren vorlegt.

Der politische Extremismus – insbesondere von rechts – wird gegenwärtig als eine der größten Bedrohungen für unsere freiheitliche demokratische Gesellschaftsordnung wahrgenommen. Die zweitgrößte Fraktion im Deutschen Bundestag wird mittlerweile von der durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als gesichert rechtsextremistisch eingestuften Partei Alternative für Deutschland (AfD) gebildet. Was hat sich seit Abschluss der Studie im Jahr 2023 verändert? Wie steht es um die Anfälligkeit der Bundeswehr für politischen Extremismus?

Was sich seit 2023 geändert hat, darüber kann ich auf Basis unserer Befragungen nur Mutmaßungen anstellen. Wie schon ausgeführt, gibt es nach den Befunden unserer Studie zwei Faktoren, die rechtsextremistische Haltungen bei Soldatinnen und Soldaten gleich welcher Dienstgradgruppe verstärken: ein elitäres soldatisches Berufsverständnis und der Vertrauensverlust in die Funktionsweise unseres politischen Systems. Um Letzterem vorzubeugen, kann und muss man auf effektives Handeln von Regierung und Parlament sowie auf eine entsprechende öffentliche Kommunikation darüber setzen – idealiter verkörpert durch ein politisches Führungspersonal, das sich glaubhaft „für die Sache“ einsetzt und so dem unter Soldatinnen und Soldaten verbreiteten Eindruck entgegenwirkt, Politikerinnen und Politikern ginge es nur um die eigene Karriere. Insbesondere muss man darauf hoffen, dass es gelingt, die Lücken bei Personal und Ausrüstung zu schließen und die schwerfälligen Arbeitsabläufe innerhalb der Bundeswehr, die nicht immer, aber doch in vielen Fällen, hausgemacht sind, zu beschleunigen.

In identitätspolitischer Hinsicht verfügt die Bundeswehr mit der Inneren Führung und dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform über Konzepte, die explizit gegen ein elitäres soldatisches Sonderbewusstsein gerichtet sind und sich im Rahmen von Landes- und Bündnisverteidigung auch (wieder) leichter begründen lassen, als dies zu den Hochzeiten internationaler Militärmissionen der Fall war. Nach wie vor gehört hierzu eine kritische Auseinandersetzung mit den historischen Hintergründen von Wehrmacht und nationalsozialistischer Kriegführung. Wie wir aus anderen Studien, etwa zur Einsatzmotivation, wissen, spielt für deutsche Soldatinnen und Soldaten darüber hinaus die Unterstützung, die sie in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld, aber auch mittelbar über die Medien erfahren, eine zentrale Rolle. Kurz: Soldatinnen und Soldaten benötigen und suchen Bestätigung für ihren Dienst, für die Sinnhaftigkeit ihres Tuns. Um politischem Extremismus in der Bundeswehr vorzubeugen, braucht es demnach sowohl wirksame Kontrollmechanismen als auch eine angemessene Resonanz militärischer Belange in Politik und Gesellschaft.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Karsten Malowitz, Noah Serve.

Kategorien: Affekte / Emotionen Demokratie Gesellschaft Gruppen / Organisationen / Netzwerke Militär Politik Staat / Nation

Nina Leonhard

Nina Leonhard promovierte im Fach Politikwissenschaft mit einer deutsch-französischen Arbeit über die Erinnerung an die NS-Zeit in ost- und westdeutschen Familien. Sie habilitierte sich im Fach Soziologie mit einer Studie über die Integration vormaliger Offiziere der Nationen Volksarmee der DDR im vereinigten Deutschland. Seit 2016 ist sie Projektbereichsleiterin am Forschungsbereich Militärsoziologie am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam sowie Privatdozentin am Institut für Soziologie der Universität Münster. (Foto: Caroline Wimmer)

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